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Mizzi in der Videowelt

■ Ingeborg Harms' erster Prosaband „Hard Drive“

Mizzi arbeitet im Pausenschank des Stadttheaters und ist der ruhende Pol im Getriebe, selbst wenn der Golfkrieg aus- und ein Fernsehteam in den Kunstraum „Theater“ einbricht. Im Theaterfoyer entsteht ein kriegsgeschwängerter Schowbizz-Raum, in dem die medialen Situationen sich überlagern. Auf den laufenden Monitoren geistert die Frontberichterstattung des CNN, während Fernsehleute und Theatermenschen multimediale Betroffenheit fingieren — und plötzlich ist Mizzi mittendrin.

Auf den Interviewsessel der Fernsehleute gezerrt, ordnet sie sich auf der nach oben offenen Betroffenheitsskala ein und spricht von Ölteppichen, Kormoranen, Seekühen und Krebsen, derweil der Intendant das von Gewissensbissen geplagte Ensemble beruhigt: Man müsse die „promotion“ nutzen und die „Reigen“-Endproben als Hintergrund für die Kriegsshow zur Verfügung stellen, meint er, während Mizzi in letzter Minute eine kleine Nebenrolle im Stück erhält, da sonst niemand mehr zur Verfügung steht. Die Groteske nimmt ihren Lauf und endet mit „Nichts wie weg hier“.

„Live“ ist die mittlere von drei kurzen Erzählungen in Ingeborg Harms Debütband, dem der Hanser- Verlag den Untertitel „Videos“ gab, gerade so als habe Ingeborg Harms ein Schreibäquivalent zur Schnittästhetik der Videokünste gefunden. Eine Lektoratsente, denn die junge Autorin, die derzeit noch in Boston als Assistant Professor für deutsche Sprache und Literatur arbeitet, ist zwar eine Meisterin der Beschleunigung und verknappten Charakterisierung von Figuren und Situationen, ihre Kurzerzählungen sind aber gerade nicht auf dem Prinzip unorganischer Aneinanderreihung aufgebaut. Sie sind wie aus einem Guß: heiß in Form gebracht und mit einer derartigen inneren Spannung, daß man den Eindruck hat, sie könnten jederzeit explodieren und sich in größerer epischer Breite entfalten.

In der längsten und titelgebenden Erzählung zeigt sich allerdings, daß Prägnanz nicht alles ist.

„Hard Drive“ wird von den Literaturwissenschaftlern eines Tages anhand der Software datiert werden, in die die Heldin der Geschichte sich einarbeitet: Die compatible PC-Welt hat die Evolutionsstufe „Word3“ erreicht, und wieder stürzt Mizzi sich hinein — dieses Mal nicht in die mediale, sondern in die binäre Welt, wo sie merkwürdige Erlebnisse der Inkompatibilität hat. Ihre Phantasien stehen quer zur Ja-Nein-Welt im Compoutercenter einer amerikanischen Universität, wo die PC-Dilettantin ausgerechnet den Chefeinweiser zum Objekt ihrer Sehnsüchte kürt und mit zunehmendem Software- Wissen selbst die Amour Mac steuert. Auch Ingeborg Harms lenkt ihre Erzählung zielsicher, aber allzu atemlos auf das Ende hin. Mizzi sieht den Chefeinweiser an sich vorbeifahren, und man könnte sich mit ihr die Frage stellen: War da was?

Todesgefahr bestand trotz der hohen Geschwindigkeit jedoch nicht, zumindest Mizzi überlebt und sieht in der letzten Erzählung plötzlich auf dem TV-Schirm ihre Jugendliebe Alfred wieder. Er erscheint als gefeierter Jungstar der Kunstszene, etwas später klingelt das Telefon, und wieder zieht es Mizzi mitten hinein — dieses Mal allerdings haben wir es mit einer verhalteneren Heldin zu tun, die von Ingeborg Harms so geschickt in Szene gesetzt wird, daß man ihre Skepsis förmlich zu spüren meint. Obwohl „Mizzis Video“ die kürzeste der Erzählungen ist, entsteht wie in keiner anderen ein ruhiger Erzählsog, kommt die Erzählstimme wie aus dem Inneren der Protagonistin. Zu tun hat das unter anderem damit, daß Ingeborg Harms weitgehend auf äußere Handlung verzichtet und Ortswechsel so dezent einbaut, daß man sie überlesen kann. Alfred übrigens ist ein schnell verglühender Stern am Vernissage- Himmel, und angerufen hat er wahrscheinlich nur, weil er wieder einmal mit jemandem sprechen wollte. Mizzis Skepsis war durchaus berechtigt. Jürgen Berger

Ingeborg Harms: „Hard Drive. Drei Videos“. Hanser Verlag, 101Seiten, 25DM.

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