GASTKOMMENTAR
: Canossagang

■ Der Iran bekommt das Bombengeschäft mit den Deutschen, das er braucht, um im eigenen Land einem Reformprozeß weiterhin aus dem Weg gehen zu können

Weder Ost noch West“, war die Parole, die die Islamische Republik auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Der Iran sollte unabhängig von den Großmächten auf den Fundamenten des Islam gedeihen. Die Voraussetzungen dafür waren günstig: Unter den sogenannten Entwicklungsländern bildete Iran eine Ausnahme. Trotz der Mißwirtschaft während der Schah-Zeit hatte das Land dank der hohen Öleinnahmen keine Schulden. Im Gegenteil: Iran selbst hatte an zahlreiche Länder, unter anderem sogar an Frankreich, Kredite vergeben und beachtliche Summen in anderen Ländern wie zum Beispiel in der BRD investiert. Somit waren nach dem Sturz des Schah im Januar 1979 die Chancen zum Aufbau einer soliden und sozial orientierten Wirtschaft durchaus gegeben. Aber die Mullahs hatten anderes im Sinn: Sie wollten den Gottesstaat auf Erden aufbauen. „Ökonomie, das ist was für Esel“, hat Chomeini gesagt. Wichtig war der Glaube. So wurden bereits in den ersten zwei Jahren nach der Revolution unsinnige willkürliche Verstaatlichungen durchgeführt und — was sich noch verheerender auswirkte — Hunderttausende von Fachkräften als Ungläubige aus ihren Stellen verjagt.

Drei Jahre lang blieben sämtliche Universitäten des Landes mit dem Ziel der Islamisierung geschlossen. Die Mullahs vermochten nicht einmal eine vernünftige Bodenreform durchzuführen. Bis zum heutigen Tag ist den Herrschern nicht gelungen, für die so existentiell wichtige Frage der Landverteilung ein einheitliches Konzept vorzulegen. All dies — die Errichtung einer despotischen Willkürherrschaft und nicht zuletzt der achtjährige Krieg gegen den Irak — haben das Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben. Die Chancen sind verpaßt, der iranische Staat ist pleite. Unruhen, gewaltsame Demonstrationen, Plünderungen, Übergriffe auf Banken und Supermärkte, Brandanschläge gegen staatliche Behörden dauern seit Monaten in vielen iranischen Städten an. Sie sind unübersehbare Warnungen an die Gottesmänner. Auch sie müssen spätestens jetzt begriffen haben, daß man mit Terror allein und dem Koran in der Hand auf Dauer nicht regieren kann.

Gerade die Ereignisse der letzten Monate zeigen, daß die herrschende Geistlichkeit ihre ursprüngliche Basis auch in ihrer ehemals stärksten Bastion, den Armenvierteln, wo die, wie Chomeini sie nannte, „Barfüßigen und Habenichtse“ ihr Dasein fristen, verloren hat. Die meiste Unruhe geht mittlerweile von diesen Volksschichten aus.

Die Mullahs stehen also unter Zugzwang. Sie müssen, wenn sie weiterhin an der Macht bleiben wollen, entweder brauchbare Konzepte zum Neuaufbau der Wirtschaft, zu tiefgreifenden Reformen in Landwirtschaft, Handel und Industrie, zum rigorosen Kampf gegen die überall herrschende Korruption und nicht zuletzt zur Auflösung der Terrorherrschaft zugunsten einer vielschichtigen Demokratisierung des Landes durchführen — und damit auch die Rückkehr der gefürchteten Fachkräfte ermöglichen. Oder sie werden — wie die meisten Diktatoren der Dritten Welt — jenen Canossagang zu internationalen Banken und mächtigen Regierungen der Industriestaaten antreten und bei ihnen um Kredite und politische Unterstützung betteln.

Zur ersten Alternative sind die Mullahs weder gewillt noch fähig. Der Besuch Welajatis in Deutschland verdeutlicht noch einmal, was sich bereits seit geraumer Zeit abzeichnet: daß die Herrschenden im Iran sich für die zweite Alternative entschieden haben. Bei dieser Entscheidung reiben sich deutsche Unternehmer und manche Politiker die Hände. Das Bombengeschäft mit dem Iran kann nun verstärkt fortgesetzt werden. Minister Möllemann hatte ja schon bei seinem letzten Besuch in Teheran die Aussicht auf Vereinbarungen in zweistelliger Milliardenhöhe eröffnet.

In dieser euphorischen Stimmung fragt kaum jemand nach den Menschenrechten. Wen interessiert schon, daß unter der Herrschaft der Mullahs mehrere zehntausend Oppositionelle hingerichtet wurden? Wer kümmert sich darum, welch ein Terror gegen Frauen, religiöse und ethnische Minderheiten, gegen Andersdenkende im Iran herrscht?

Vielleicht wird Außenminister Kinkel wie bei seinem Besuch in der Türkei das leidige Problem der Menschenrechte auch Welajati gegenüber zur Sprache bringen. Derlei verbale Bekundungen kosten nichts und dienen zur Beruhigung des Gewissens. Ansonsten wird man zur Tagesordnung übergehen. Die Geschäfte können abgeschlossen, der Terror im Iran kann fortgesetzt werden. Bahman Nirumand

Schriftsteller und Journalist