Ägypten übt sich im „Antiterrorismus“

Kabinett verabschiedete Gesetzesverschärfungen gegen religiös motivierte Gewalt/ Die öffentliche Meinung ist gespalten  ■ Aus Kairo Ivesa Lübben

Wie soll man denn mit religiös motivierten Anschlägen fertig werden? Diese Frage wird in Ägypten derzeit heiß debattiert. Vor einem Monat wurde in Kairo der Journalist und Schriftsteller Farag Fada auf offener Straße von den radikalen Gamaat Islamia (Islamischen Gruppen) ermordet. In der oberägyptischen Provinz Assiut kommt es immer öfter zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und Christen einerseits und den Gamaat andererseits, die inzwischen ganze Dörfer unter ihrer Kontrolle haben. Das ägyptische Innenministerium befürchtet, daß nach der erwarteten Rückkehr von rund 2.000 waffenkundigen Afghanistan-Freiwilligen religiös motivierte Anschläge noch zunehmen werden.

In einer siebenstündigen Sitzung hinter verschlossenen Türen gab das ägyptische Kabinett letzte Woche einer ganzen Reihe von neuen Antiterrorismus-Paragraphen seinen Segen. Eigentlich sollte ein völlig neues „Antiterrorismus-Gesetz“ aus der Taufe gehoben werden. Aber nachdem mehrere ägyptische Botschaften in Europa Besorgnis geäußert hatten, daß dies negative Folgen für die Wirtschaftshilfe haben könnte, entschloß man sich, die neuen Maßnahmen lieber in schon vorhandene Gesetze einzuarbeiten. Schnellgerichtsverfahren, Ausweitung der Polizeivollmachten und harte Strafen zur Abschreckung sind vorgesehen: es ist die Rede von Tod durch den Strang für jeden, der sich an der Planung und Ausführung von Attentaten beteiligt; von lebenslänglicher Zwangsarbeit für Mitglieder von Organisationen, die die verfassungsmäßigen Freiheiten mit Gewalt einschränken wollen; von Vorbeugehaft und Zwangseinweisung in psychiatrische Anstalten für Leute mit „pathologisch terroristischen Neigungen“ gar.

Ein Teil der Linken für härtere Gangart

Die öffentliche Meinung ist gespalten. Ausgerechnet unter einem Teil der Linken findet man die vehementesten Verfechter der neuen Regelungen. „Abdel Schafi Ramadan, der mutmaßliche Mörder Farag Fodas, war schon einmal von der Polizei festgenommen worden, mußte dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt werden, weil man ihm außer seinen terroristischen Neigungen nichts Konkretes nachweisen konnte“, begründet der Sprecher der linkssozialistischen Taqammu-Partei seine Forderung nach einer härteren Hand des Staates. „Der Prozeß gegen die Mörder des Parlamentspräsidenten Rifaat Mahgub wird seit eineinhalb Jahren immer wieder aufgeschoben, und wenn er dann endlich aufgenommen wird, wird es mindestens zwei bis vier Jahre dauern, bis das Urteil verkündet ist. Dann ist das Attentat nur noch Geschichte, und er kommt mit einer Strafe weg, die eher Symbolcharakter hat.“ Allerdings trüge auch die Regierung Verantwortung für das wachsende Klima der Intoleranz. „Radio, Presse und Regierungszeitungen sind voll von fundamentalistischer Propaganda. Die islamische Opposition erntet, was der Staat sät“, kritisiert der Taqammu- Sprecher.

Der ägyptische Soziologe Nabil Abdel Fattah vom Ahram-Forschungszentrum meint hingegen nicht, daß härtere Strafen die radikalen Islamisten abschrecken werden. Das Märtyrertum sei Teil ihrer religiösen Überzeugungen: Wer sich opfert im Kampf gegen den „ungläubigen Staat“, dem würden die Türen zum Paradies offen stehen.

„Der Ausweg aus der Krise liegt in der Demokratie“, sagt Ibrahim Pascha Farag, Vorsitzender der liberalen Wafd-Partei. „Seit elf Jahren leben wir im Ausnahmezustand. Wir haben ein Parlament, das niemanden repräsentiert. Über 30 Abgeordnete sitzen — wie gerichtlich nachgewiesen — nur aufgrund von Wahlfälschungen im Parlament und weigern sich trotzdem zurückzutreten. Und zur Zeit überprüft das oberste Verfassungsgericht, ob das Parlament als Ganzes überhaupt verfassungsmäßig ist. Wo kann denn unsere Jugend unter solchen Bedingungen ihre Interessen zum Ausdruck bringen?“

Die vorhandenen Gesetze würden mehr als ausreichen, meint Al- Schaab, das Sprachrohr der oppositionellen Arbeiterpartei, die gemeinsam mit den Moslembrüdern das Islamische Bündnis bildet. „Schon jetzt sitzen manche Leute ein, zwei, drei Jahre ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis, weil sie nach Ablauf der 45 Tage Untersuchungshaft sofort wieder verhaftet werden. Schon jetzt sieht das Strafrecht die Todesstrafe für Mord, für die Bildung bewaffneter Gruppen oder bewaffneten Widerstand gegen die Staatsgewalt vor.“ Viele befürchten, daß sich die Maßnahmen gegen andere wenden werden: gegen landlose Bauern, die nicht bereit sind, die Mitglieder der Gamaat zu verraten, die sie regelmäßig durch die Verteilung von Armensteuern unterstützt haben sowie gegen alles, was sich unter dem Begriff „ideologisches Umfeld des Terrorismus“ zusammenfassen läßt, also vor allem gegen die gemäßigten islamischen Kräfte, allen voran die Moslembruderschaft.

Moslembrüder geraten unter Druck

Anders als die Gamaat lehnen die Moslembrüder Gewalt als Mittel der Politik ab. Offiziell sind sie seit 1954 verboten, wurden aber in den letzten 25 Jahren als willkommenes Gegengewicht gegen die ägyptische Linke seitens des Regimes toleriert. 1984 bis 1987 beteiligten sie sich sogar auf den Listen anderer Parteien an den Wahlen und stellten die stärkste Oppositionsgruppe im Parlament. Das ging so lange gut, wie sich ihre Forderungen auf Fragen der islamischen Moral und Ethik beschränkten. Aber der Honeymoon mit der Regierung ist spätestens seit dem Golfkrieg vorbei. Innenpolitisch gehen sie zunehmend auf eine härtere Linie und machen die öffentliche Korruption, den Luxuskonsum sowie die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen für die Wirtschaftsmisere und die wachsende politische Gewalt im Lande verantwortlich.

Jetzt, nachdem sie sich politisch emanzipiert haben, scheint der Staat sich wieder daran zu erinnern, daß die Moslembrüder eigentlich illegal sind. Zur Zeit werden zwei Prozesse gegen sie vorbereitet. In der nordägyptischen Stadt Zagazig sollen 40 Mitglieder vor Gericht gestellt werden, die eine Geheimorganisation gebildet und für fremde Mächte spioniert haben sollen. Der zweite ist der Salsalbil-Prozeß. Salsalbil ist ein erfolgreiches Computer- und Softwareunternehmen mit sozialwissenschaftlicher Datenbank, dessen Kapitaleigner den Moslembrüdern angehören. Es sei, so die Justiz, in Wirklichkeit das technologische Gehirn einer Geheimorganisation.

Die islamische Strömung sei eine Realität, an der man heute nicht mehr vorbei könne, meint der Soziologe Saad Ed-Din Ibrahim. Ihr gebühre ein Platz im demokratischen System, wenn sie bereit seien, die Gegensätze zu respektieren. Nur wenn man den gemäßigten Kräften wie den Moslembrüdern erlaube, eine eigene Partei zu bilden, könne man auch den radikalen Strömungen den Boden entziehen.