MIT DEM EISERNEN SESSEL AUF DU UND DU
: Entlassungen in China

■ Neues Arbeitsvertragssystem in staatlichen Betrieben

Peking/Berlin (AP/taz) — „Die eisernen Reisschüsseln, die eisernen Sessel und die eisernen Löhne zerbrechen“ — unter diesem Slogan propagieren die chinesischen Medien eines der heikelsten Vorhaben im Prozeß der chinesischen Wirtschaftsreformen. Gemeint sind die Abschaffung der Arbeitsplatzgarantie auf Lebenszeit für die Arbeitskräfte im staatlichen Sektor, die unkündbare Stellung der Kader sowie die Veränderung des starren Entlohnungs- und Beförderungssystems. Bereits in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hatten die Reformer um den ehemaligen Premier und späteren Parteichef Zhao Ziyang, der 1989 gestürzt wurde, ein neues Arbeitsvertragssystem für die staatlichen Betriebe und Institutionen eingeführt. Neu eingestellte Arbeitskräfte erhielten nun einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag, der meistens über einen Zeitraum von fünf Jahren gelten sollte. Dies führte dazu, daß es in den Betrieben „zwei Klassen“ von ArbeiterInnen gab — jene, die noch über einen „lebenslänglichen“ Arbeitsplatz verfügten, und die anderen, die zumindest theoretisch damit rechnen konnten, nach Ablauf ihres Vertrages entlassen zu werden.

Doch die Furcht vor Unruhen in der Arbeiterschaft hat bislang dazu geführt, daß Entlassungen relativ selten vorkamen. Statt dessen wurden „überschüssige Arbeitskräfte“ mit einem geringen Unterhaltsgeld in „verlängerten Urlaub“ geschickt, eine Praxis, die im übrigen zuallererst die Frauen traf.

Wie die englischsprachige Tageszeitung China Daily gestern berichtete, betonte Arbeitsminister Ruan Chongwu nun in einem Rundschreiben an die Regierungsbehörden: „Die Reformpolitik ist unumkehrbar.“ Nach Angaben Ruans haben in der ersten Hälfte dieses Jahres 500.000 Chinesen ihren Arbeitsplatz verloren. Ende 1991 war die Zahl der Erwerbslosen offiziell mit 3,52 Millionen angegeben worden. Die sich damit zur Jahresmitte ergebende Arbeitslosigkeit von rund vier Millionen entspricht einer Quote von 2,8Prozent der städtischen Arbeiterschaft. Nicht enthalten sind darin allerdings mehrere Millionen Jugendliche, die zum Teil schon seit Jahren auf einen Einstieg ins Berufsleben warten. Ferner führen die Personallisten der Staatsunternehmen nach Schätzungen der Regierung zehn bis 20 Millionen Beschäftigte, die in ihrem Betrieb nichts zu tun haben. Ihre Zahl soll durch Entlassungen schrittweise verringert werden.

Die örtlichen Behörden sind aufgefordert, den Aufbau von Privatunternehmen sowie die Entwicklung von Einzelhandel und Dienstleistungen zu unterstützen. Ruan erklärte, die Regierung wolle erreichen, mit der Schaffung neuer Stellen in der privaten Wirtschaft die Arbeitslosenquote unter 3,5Prozent zu halten. li