Wie Rechentricks eine Autobahn erzeugen

■ Im Bundesverkehrswegeplan taucht die A44 bei Meerbusch als „vordringlicher Bedarf“ auf/ Mathematische Manipulation schafft günstiges Nutzen-Kosten-Verhältnis/ Zerstörung eines Naturschutzgebiets bleibt unerwähnt

Berlin/Meerbusch (taz) — Am Wochenende flanieren Ausflügler auf dem Deich und zwischen den Pappelreihen, die hier seit Napoleons Zeiten stehen. Viele Großstadtkinder aus Düsseldorf erleben hier erstmals eine leibhaftige Kuh, und wer Glück und ein geübtes Auge hat, entdeckt eine Rohrweihe oder einen Turmfalken auf Beutezug. Doch mit der Idylle im Naturschutzgebiet nördlich von Meerbusch soll es nun bald ein Ende haben: gemeinsam haben Bundesverkehrsminister Günther Krause und sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Franz-Josef Kniola im Bundesverkehrswegeplan festgeschrieben, daß hier „vordringlicher Bedarf“ für eine sechsspurige Autobahn besteht. Sie soll das Düsseldorfer Messelände mit dem Autobahndreieck Strümp verbinden.

Krauses Experten haben ein Nutzen-Kosten- Verhältnis von 8,6 errechnet — ein Wert, dem sich kaum ein Bundestagsabgeordneter verschließen wird; denn schon ab 3 wird ein Projekt als dringend eingeschätzt. Die Zahl kommt zustande, indem die Senkungen von Transportkosten und die Zeiteinsparungen der Straßenbenutzer den Baukosten gegenübergestellt werden. Dieser statistische Wert, der scheinbar über jeden Zweifel an der Notwendigkeit der fünf Kilometer langen Rheinüberquerung erhaben ist, entpuppt sich bei näherer Betrachtung allerdings als Rechentrick.

Im Bundesverkehrswegeplan von 1985 hatten die Gutachter das Projekt noch mit einem Wert von 2,6 beurteilt. Rund 52 Millionen Mark Transportkostensenkungen führten sie für das Projekt ins Feld. In dem jetzt vorgelegten Plan wird ein dreimal so hoher Wert angenommen. Zugleich schätzen die Ministerialen, daß statt den für 1985 prognostizierten 9.000 LKWs täglich 12.000 Brummis über die Meerbusch-Autobahn brausen. Wie aber 33 Prozent mehr LKWs eine 200prozentige Transportsteigerung bewältigen sollen, bleibt das Geheimnis der Experten.

Und auch bei der in Geld umgerechneten Zeitersparnis der Verkehrsbenutzer zur Erreichung von zentralen Orten, Arbeits- und Erholungsstätten gelingt den von Krause beauftragten Wissenschaftlern eine erstaunlich Nutzensteigerung: Waren dafür im letzen Bundesverkehrswegeplan noch 8,4 Millionen Mark verbucht worden, sind es jetzt 30,4 Millionen — und das, obwohl der Stau in der Düsseldorfer City in den letzten Jahren immer zäher geworden ist und ein weiterer Zubringer die Verstopfung noch verschlimmern dürfte. „Geradezu ein Hohn ist das Stichwort Erreichbarkeit von Erholungsstätten“, so Heinz Ruyter, der in der Bürgerinitiative Stop A44 seit Jahren gegen die Autobahnpläne kämpft. „Die Ilvericher Altrheinschlinge, eine für den Ballungsraum Düsseldorf-Neuss-Krefeld sehr wichtige Erholungsstätte, würde durch die Autobahn unwiederbringlich zerstört.“

Aber auch auf der Kostenseite haben die Gutachter manipuliert, damit ein hoher Quotient entsteht: ein Drittel weniger als 1985 veranschlagen sie für Bau, Flächenerwerb, Entschädigungen und Lärmschutz. Wo derartig erstaunliche Einsparungen möglich sind, erklären sie nicht.

Nur ein einziger Satz weist die Bundestagsabgeordneten, die im Herbst ihre Hand für dieses und über tausend andere Straßenbauprojekte heben sollen, auf die Folgen für die Umwelt hin: „Häufung ökologischer Risiken wird erwartet.“ Kein Satz über das Wasserschutzgebiet, durch das die Trasse führen soll, kein Hinweis auf das Naturschutzgebiet. Nur wer den letzten Bundesverkehrswegeplan studiert, entdeckt ein paar magere Stichworte zu diesem Thema.

Bei der städtebaulichen Beurteilung kommt Krauses Ministerium gar zu der Einschätzung : „empfehlenswert“ — mit Ausrufezeichen. Ortskenner aber entdecken in der Expertise zahlreiche Sachfehler: die prognostizierten deutlichen Entlastungen für mehrere Orte nördlich von Meerbusch sind nicht nur deshalb völlig unnachvollziehbar, weil die geplante Autobahn keinen Verkehr von dort übernehmen kann. Hinzu kommt, daß die aufgeführten Straßen tatsächlich gar nicht stark befahren sind.

Und auch über die zahlreichen Bürgerinitiativen vor Ort erfährt man im langen Eugen in Bonn nichts: von der Handwerkskammer über den ADAC bis zur Stadt Düsseldorf wollen alle die Meerbusch-Autobahn haben, schreiben Krauses Mannen. Und auch die Bundestagsabgeordneten des Raumes werden fälschlicherweise alle als Befürworter aufgelistet. Nur die Stadt Meerbusch erscheint als Spielverderberin. Nur sie hat laut Krause etwas gegen die großartigen Autobahnpläne einzuwenden. Annette Jensen