INTERVIEW
: „Die Gefahr der Verwicklung ist latent“

■ Heidemarie Wieczorek-Zeul, Mitglied im SPD-Präsidium, zu einer möglichen Verfassungsklage

taz: Frau Wieczorek-Zeul, zieht die SPD jetzt auf der Grundlage ihres Bremer Parteitagsbeschlusses — Bundeswehrbeteiligung nur bei UNO-Blauhelm-Missionen — vor das Bundesverfassungsgericht?

Wieczorek-Zeul: Was dort in der Adria stattfinden soll, ist kein Blauhelm-Einsatz, sondern die Teilnahme an einer Seeblockade. Das ist eine militärische Aktion, die nichts mit Verteidigung zu tun hat. Bislang kennt offenbar nur die Regierung die sogenannten Einsatzrichtlinien. Falls Einheiten der Bundeswehr tatsächlich an einer militärischen Aktion teilnehmen sollten, werden wir vor das Verfassungsgericht gehen.

Nun behauptet die Regierung, daß die Bundeswehrsoldaten nur den Auftrag hätten, den Schiffsverkehr dort zu beobachten und so gewonnene Informationen an die UNO weiterzugeben...

Eines ist doch klar: Das wird für die Soldaten eine höchst gefährliche Aktion. Es kann zu Zwischenfällen mit Blockadebrechern kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß von den NATO-Schiffen aus lediglich die UNO mit dreifachem Durchschlag über die Bewegungen anderer Schiffe in Kenntnis gesetzt wird. Deshalb kann auch Herr Kinkel nicht die Garantie dafür übernehmen, daß es bei den angekündigten „Beobachtungen“ bleibt. Solche Fragen über Leben und Tod dürfen nicht in einer verfassungsrechtlichen Grauzone abgehandelt werden.

In diesem Fall geht die SPD also nach Karlsruhe?

Ich will das nicht allein auf diese Frage zugespitzt sehen. Das ärgerliche ist doch, daß die Bundsregierung noch nicht einmal wartet, bis sich die zuständigen Ausschüsse des Bundestages oder der Bundestag selbst mit diesem Einsatz beschäftigt haben. Die Bundesregierung mißachtet das Parlament. Was mich an dieser ganzen Debatte so aufregt, ist der Umstand, daß zur Zeit kein Mensch danach fragt, was die Bundesregierung eigentlich macht, um die schreckliche Situation im ehemaligen Jugoslawien tatsächlich zu verändern. Kinkel hat permanent auf militärische Einsätze gedrängt — und jetzt holt ihn seine eigene Strategie ein.

Wie sieht denn die Strategie der SPD aus?

Ich plädiere dafür, daß jetzt eine Konferenz der europäischen Staatschefs einberufen wird, mit dem Ziel, den Serben klarzumachen, daß sie absolut isoliert sind. Für den Beschluß auf umfassende Sanktionen gegen Serbien hat die Weltgemeinschaft bis Ende Mai gebraucht. Das Embargo läuft erst seit sechs Wochen. Erst wenn alle politischen und ökonomischen Maßnahmen versagen, ist es Sache der UNO, zu entscheiden, ob militärische Zwangsmaßnahmen eingeleitet werden. Wir wollen das Gewaltmonopol der UNO.

Und da muß doch die SPD endlich klar Farbe bekennen, ob sie für die Teilnahme deutscher Soldaten an solchen Kampfeinsätzen der UNO ist...

Wir wollen die Verfassung so ändern, daß der Auftrag der Bundeswehr erweitert wird: Teilnahme an Aktionen, bei denen Konfliktgegner auseinandergehalten werden sowie an humanitären Einsätzen. Wir haben uns auf dem Bundesparteitag klar gegen die Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen der NATO ausgesprochen.

Ihre Parteifreundin Däubler-Gmelin hat erklärt, daß man „nicht in jedem Fall“ vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werde — etwa dann nicht, wenn die Soldaten tatsächlich „nur beobachten“.

Die Gefahr der Verwicklung der Soldaten in Kampfhandlungen ist latent — und die Beteiligung der Bundeswehr an solchen Kampfhandlungen hat keine Basis in der Verfassung. Interview: Klaus-Peter Klingelschmitt