Kein Geld für Mädchen

■ Weil Mädchen so unauffällig sind, steht Mädchentreff vor dem Aus

Wenn die Jungs den Mädchen in der Neustadt auf den Wecker gehen, haben sie in der Hohentorsheerstraße einen Anlaufpunkt: Im Mädchentreff können sie unter sich sein, Kaffee trinken, Theater spielen, malen, filmen oder klönen. So zumindest könnte es im Mädchentreff in der Neustadt aussehen, wenn alles so ginge, wie es sich die „Gewitterziegen“, die den Treff vor zwei Jahren gegründet haben, wünschen. Doch im Moment arbeitet im Mädchentreff nur eine ABM-Kraft — ohne Gehalt. Denn das Arbeitsamt hat dem „Verein für feministische Mädchenarbeit“ zwar zugesagt, die Stelle um ein Jahr zu verlängern, doch weil die amtliche Entscheidung noch aussteht, gibt es zur Zeit auch kein Geld.

Mädchenarbeit fällt durch alle behördlichen Raster. Denn Mädchen sind Jugendliche und für die gibt es angeblich genug Jugendzentren und Freizeitheime. Doch wie es in gemischten Jugendeinrichtungen aussieht, weiß Diplompädagogin Barbara Hamm aus eigener Erfahrung: Die Jungs drängen sich um den Kicker oder lümmeln sich an der Theke, während die Mädchen sich stundenlang auf dem Klo rumdrücken. Darum haben sie und andere Mitarbeiterinnen gemischter Jugendeinrichtungen vor zwei Jahren den Mädchentreff in der Neustadt gegründet. Doch wenn die „Gewitterziegen“ den Senatsbehörden gegenüber begründen müssen, warum es spezielle Einrichtungen und Angebote für Mädchen geben muß, haben sie mit einem mädchentypischen Problem zu kämpfen: Mädchen sind kaum sichtbar. Jungs machen durch Krach oder Radau auf sich aufmerksam. Brave Mädchen machen Knickse und sind auch sonst schön unauffällig. Wenn die Diplompädagogin durch die Neustadt läuft, sieht sie „in einer Stunde vielleicht fünf Mädchen“.

Der Raum, in dem sich Stadt- Mädchen bewegen, ist klein. Über das Viertel, in dem sie wohnen, geht er kaum hinaus. Und da Mädchen selten Zeitung lesen, fällt es den „Gewitterziegen“ nicht leicht, ihre Angebote bekannt zu machen. Flugblätter und Prospekte fallen im städtischen Papierwust kaum auf. So ist der Mädchentreff in der Neustadt auf Mund-zu Mund-Propaganda angewiesen: „Die Mädchen kommen fast nie von allein zu uns“, sagt Barbara Hamm. „Meist haben sie von einer Freundin gehört, daß es uns gibt“.

Doch wenn die Mädchen kommen oder anrufen, haben sie häufig Probleme: Streß mit Eltern oder Freund, der Fahrlehrer hat sie angegrabscht oder sie sind magersüchtig und können nichts mehr essen. Die „Gewitterziegen“ treffen sich mit den Mädchen, die Rat suchen oder schicken sie zu Beratungsstellen, wenn sie ihnen selbst nicht helfen können. Seit einem dreiviertel Jahr gibt es im Treff auch eine freie Gruppe, in der sich Mädchen und junge Frauen untereinander aussprechen und gegenseitig beraten. „Zu uns kamen auch viele junge Mütter, die Kontakt suchten“, erzählt Barbara Hamm. Doch die Sozialhilfeberatung und das Frühstück für arbeitslose Frauen, das die jungen Frauen früher angezogen hat, gibt es inzwischen nicht mehr, weil die Stelle gestrichen wurde. Und wenn kein Anlaufpunkt da ist, treffen sich die Frauen auch nicht mehr, hat die Diplompädagogin beobachtet. „Wir sind so etwas wie eine erste Anlaufstelle für die Mädchen und jungen Frauen. Bei uns trauen sie sich vielleicht eher rein als beispielsweise ins Frauenkulturzentrum, weil sie hier so sein können, wie sie sind.“ Eine Altersgrenze ziehen die „Gewitterziegen“ nicht. „Wenn erwachsene Frauen zu uns kommen, hat das einen Grund: Sie fühlen sich nicht zu alt und dann ist das für sie das Richtige“, meint Barbara Hamm.

Psychologische Beratung oder Hilfe bei sexuellem Mißbrauch kann der Mädchentreff nicht bieten. Daß „die Senatsbehören immer so tun, als ließe sich Mädchenarbeit auf die Arbeit an Mißbrauch reduzieren“, ärgert die Diplompädagogin. „Mädchenarbeit als solche müßte selbstverständlich sein“, findet sie und dazu gehören eben auch Freizeitangebote. Doch weil Behörden nur durch Argumente zu überzeugen sind, hat Barbara Hamm auch davon noch ein paar parat: Mädchenarbeit, sagt sie, „ist immer präventiv“. Sei es, daß die Mädchen in Selbstverteidigungskursen lernen, sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren, sei es, daß sie im Mädchentreff in Krisensituationen Ansprechpartnerinnen finden. Darum haben die „Gewitterziegen“ jetzt bei der Senatorin für Gesundheit, Jugend und Soziales institutionelle Förderung beantragt. Sie brauchen größere Räume, um mehr Gruppen anbieten zu können und sie wollen endlich kontinuierlich arbeiten können. Denn immer wenn eine ABM-Kraft weggeht, müssen die „Gewitterziegen“ wieder bei Null anfangen. Doch der Verein braucht schnelle Entscheidungen. Wenn die nächste Monatsmiete bezahlt ist, ist die Kasse leer. Diemut Roether