Verkehrsverwaltung geht das Geld aus

■ Geldmangel gefährdet wichtige Nahverkehrsprojekte/ Fahrgastinitiative: Geld verschwindet unter dem Regierungsviertel, ohne Berlinern zu nützen

Berlin. Die Berliner Koalition kann ihr Versprechen, bei der Verkehrsplanung den öffentlichen Nahverkehr zu bevorzugen, nicht halten — das Geld fehlt. Nach Schätzungen der Verkehrsverwaltung sind für den geplanten Ausbau von U-, S- und Straßenbahn jährlich eine Milliarde Mark notwendig. In diesem Jahr hat der Verkehrssenator aus Landes- und Bundeskasse jedoch nur 560 Millionen für den Nahverkehr bekommen, im kommenden Jahr schrumpft der Betrag auf 348 Millionen Mark, und von 1994 an sind nur noch 188 Millionen vorgesehen. Jetzt stehen lang geplante Projekte in Frage.

Sollte Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) nicht zusätzliche Mittel auftreiben, kann die S-Bahn nach Spandau nicht gebaut werden und wird es auf absehbare Zeit auch kein zweites Gleis nach Potsdam geben. Die S-Bahn-Linie 25 von Priesterweg (S 2) nach Lichterfelde Süd sollte Ende 1993 in Betrieb genommen werden, doch gestern berichtete Nikolaus Kapp, Abteilungsleiter in der Bauverwaltung, überraschend: »Noch ist die Inbetriebnahme nicht entschieden.« Der Senat werde über die gesamte Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in der kommenden Woche beraten.

Wo zusätzliches Geld herkommen könnte, überlegten die Bau- und Verkehrsverwaltung am vergangenen Mittwoch. Theoretisch können drei Quellen angezapft werden: der Berliner Haushalt, das Bonner Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) und der Topf »Aufschwung Ost«. Um mehr GVFG-Mittel zu bekommen, müßte allerdings das Bundesgesetz geändert werden, erklärte Kapp den Nachteil dieser Möglichkeit. Deshalb wolle man versuchen, über »Aufschwung Ost« an weitere Mittel heranzukommen — der Bund könne diesen Topf auffüllen.

Der Berliner Haushalt ist auf Grund der angespannten Finanzlage für kommendes Jahr bereits verplant. Sollte der Senat den öffentlichen Nahverkehr als Priorität ansehen, müßten Gelder aus anderen Ressorts umverteilt werden, so Thomas Butz, Sprecher der Finanzverwaltung. Wie knapp der Geldbeutel des Verkehrssenators gefüllt sein würde, war vorhersehbar, denn »seit 1991 ist bekannt, daß es mit dem Haushalt Probleme gibt«, sagte Butz.

Die Nachrichten über das riesen Loch im Sparstrumpf des Verkehrssenators sorgen für Empörung. Wenn die S-Bahn nach Lichterfelde- Süd nicht wie angekündigt im Dezember 1993 in Betrieb genommen werde, sei das »ein Schlag ins Gesicht«, sagt Herbert Weber, CDU- Bürgermeister in Steglitz, verärgert. Seit 15 Jahren werde über die Wiederinbetriebnahme geredet, und auf Grund der schlechten Finanzlage der Stadt sei das Projekt bereits auf ein Provisorium abgespeckt worden.

Die Fahrgastinitiative »Igeb« wirft dem Senat vor, die ohnehin knappen Mittel zugunsten des Lehrter Bahnhofs auszugeben. Auch wenn der Fernbahntunnel unter dem Tiergarten von Bonn bezahlt würde, entstünden für U- und S-Bahn- Abschlüsse enorme Folgekosten. Von einer S-Bahn unter dem Regierungsviertel hätten die Berliner allerdings wenig, müßten aber auf Strecken nach Spandau, Lichterfelde- Süd, Potsdam und auf die Verlängerung des Tram-Netzes verzichten. Mit dem derzeitigen Haushaltsetat könne auch der Autoverkehr nicht mehr auf Bus und Bahn verlagert werden. Dirk Wildt