DER TUMOR IM „GRIMMDARM“ BRINGT ITALIENS SPEISEZETTEL DURCHEINANDER

So was, wie der Papst jetzt ißt

Rom (taz) — Für Annamaria Damelia vom Grünen Markt der römischen Piazza Vittorio Emanuele ist das Ganze „ein Himmelsgeschenk, ein wahres Wunder, wie es nur dieser Papst vermag“, für Chefkoch Mario Pernetto von der Tavernetta hingegen ist das Ganze eine „mittlere Katastrophe“: seit die Welt, und nicht nur die katholische, auf das tägliche Bulletin über den Gesundheitszustand des Karol Wojtyla und die mittlerweile über die Krankheits-Vorgeschichte bekanntwerdenden Einzelheiten blickt, ist auch auf Italiens Speisezetteln nichts mehr wie zuvor. Mario Pernetto z. B. hatte dieses Jahr, „wie es nur zu natürlich ist“, sein Angebot stark an die nahenden olympischen Spiele angeglichen, mit einem Menü, das „viel saftiges, mageres Fleisch enthält, wie es die Athleten zu sich nehmen“, und das vor allem auf Muskelbildung zielt. „Schließlich ist Bodybuilding auch für Frauen dieses Jahr ein wahrer Renner“, sagt Mario.

Und nun das: der Tumor im „Grimmdarm“ des Papstes sei, so die ziemlich einhellige Meinung der Medizinmänner, Folge einseitig fleischlicher Ernährung, Zeichen des „Mangels an ausreichender Zufuhr pflanzlicher Fasern und Ballaststoffe“. Seither legen die Gäste der Tavernetta wie in Tausenden anderer Osterien und Ristoranti die Speisekarte kopfschüttelnd beiseite oder weisen die mündlich heruntergebeteten und warm empfohlenen Gerichte der Kellner mit der Bitte um „einen Teller gesunder Nahrung“ zurück, „am liebsten so etwas, wie der Papst jetzt ißt“.

Vor derlei aber kann es einem gestandenen italienischen Essensbereiter nur grausen: waren die Gelüste des Papstes dem Normalsüdländer ohnehin kaum verständlich — er hatte sich, obwohl seit seiner Wahl zum Pontifex maximus im Lande der Gourmets schlechthin lebend, seine eigenen polnischen Koch-Schwestern mitgebracht —, so wollen zumindest die Menü-Bereiter nun nicht auch noch von argwöhnischen Medizinern und dilettierenden Gästen bevormundet werden. „Am Ende“, flucht Mario, „soll ich dann wohl noch hinter das Dessert eine kleine Chemotherapie anhängen, eh?“

So schlimm wird's wohl nicht kommen. Doch die Aufmerksamkeit der Nation für eine gesunde Ernährung ist nun mal plötzlich geweckt. Auf den Prüfstand geraten Spaghetti bolognese — die mit der Fleischsoße — und das dicksaftige Bistecca fiorentina ebenso wie die Seezunge al burro oder die Scaloppine in Marsala. Bestand haben allenfalls die donnerstags traditionellen Gnocchi di patate, weil rein aus Kartoffeln und Mehl herrührend und zudem in Tomatensud bereitet, oder die Melone beziehungsweise die Feigen zum Voressen (aber ohne Schinken). Statt der Lombata di vitello, dem schönen Kalbsschnitzel, fordern Gäste nun ebensolche Schnitzel, aber aus Auberginen (Melanzane) oder Zucchini gefertigt. Erbsen und Bohnen, sonst allenfalls kleine Beilagen, blähen sich zum Hauptgang auf, sogar Salat, den Italiener normalerweise stets zur Hälfte stehenlassen, wird zum Renner. Grüne Märkte melden schon gegen zehn Uhr den Mangel an einer Reihe nun beliebter Grünzeuge.

Chefkoch Mario weiß natürlich, daß auch dieses Nahrungs-Unwetter vorbeigeht, „wir sind Kummer gewohnt“. Jahrelang hatten gebildete Gäste die italienischen Küchenchefs mit der Forderung nach der nouvelle cuisine genervt, einige Zeit war die Würstelmanie ausgebrochen, dann wieder mußten sich auch feine Speisestätten mit den von Mac-Donalds- Ketten eingeschleppten Wünschen nach Ketchup und Pommes frites anfreunden. Mario hat denn auch beschlossen, das Ganze eher von der karitativen Seite her zunehmen: „Wenn's zu einem Aufschwung unseres Gemüsehandels führt“, sagt er mit Seitenblick auf die marode Nationalökonomie, „habe ich ja gar nichts dagegen, man kann Grünzeug ja auch lecker zubereiten.“

Das allerdings sagt er mit einem Gesicht, als müsse er fürderhin nur noch Bic Macs belegen und nicht mehr für seine geliebte kleine Tavernetta kochen. Werner Raith