Der Nächste bitte!

■ „Polizeiruf 110“, ARD, Mi., 20.15Uhr

Viel spannender wäre es natürlich gewesen, Hauptkommissar Fuchs vom guten alten „Polizeiruf110“ im Clinch mit — sagen wir — der Duisburger Drogenmafia und der anhängigen Fahndercombo zu erleben. Da die Dinge aber bekanntlich anders liegen, tritt „Tatort“- Thanner alias Eberhard Feik einen neuen Job in Berlin-Mitte an. Strafversetzt?, fragt sich seine Zimmerwirtin in Duisburg nicht zu unrecht. Denn gemessen an dem, was hier auf Thanner zukommt, war ein Jahrzehnt an der Seite von Horst Schimanski ein Zuckerschlecken. Ihn erwartet das Härteste, was das deutsche Serienfernsehen derzeit zu bieten hat: deutsche Einheit plus Rechtsradikalismus.

Kalle liebt Birgit und ein bißchen auch Helmut mit der Tadzio-Locke. Kalle hält seinen Kameraden die Treue. Kalle ist Neonazi und überfällt mit Helmut eine Bank. Das kann kein gutes Ende nehmen.

Thanner besucht seinen neuen Kollegen mit zwei Flaschen Sekt. Thanner geht shopping, während die Bank überfallen wird. Er stößt auf tiefes Mißtrauen, denn er ist Aufbauhelfer Ost. Das soll ein gutes Ende nehmen. „Polizeiruf 110“ ist gewachsene DDR-Kultur, Kommissar Fuchs der Derrick von jenseits der Elbe. Fuchs hat Verständnis und denkt an Jobs und Zukunftsperspektiven für die Jungs, wenn er mit Handschellen am Kachelofen hängt. Er hat Durst und bittet um Wasser — wie einer vor zweitausend Jahren. Noch am Marterpfahl der Neonazis verrät er seine Ideale nicht. Das hat etwas mit Identität zu tun und wird kein gutes Ende nehmen.

Die deutsche Einheit ist ein gewagtes Experiment und eine ostdeutsche Polizeidienststelle ihr Mikrokosmos. Seine einfache Wahrheit: Wessis machen Fehler, und auch in der DDR wurden Verbrecher gefaßt. Thanners Sensibilität, sein Werben um Offenheit sind ein großer Scheißdreck. Aber wissen Sie etwas besseres? Auch das wird kein gutes Ende nehmen. Ex-DEFA-Regisseur Bodo Fürneisen und sein Drehbuchautor Veith von Fürstenberg haben sich viel vorgenommen: die Einheit und der Rechtsradikalismus sind die sphinxartigen Zwillinge der neunziger Jahre. Der Film kennt sein Material, aber er weiß ihm nichts abzugewinnen. O.K.: auch Nazis bumsen. Das Drehbuch entscheidet sich für Psychologie und hofft damit die Politik zu unterlaufen. Die Routine des Polizistenalltags steht neben der unbeherrschten Dramatik des Verbrechens. Große Knarren signalisieren abgründige Gefühle. Eine Flucht mit Geiselnahme: Handschellen zu, Handschellen auf, Gas geben. Das ist guter ARD-Durchschnitt, und wir wissen, wie das endet.

Vielleicht hat Thanner in Berlin- Mitte eine Überlebenschance. Die Begegnung mit Liebling Prenzelberg wird nicht lange auf sich warten lassen. Christoph Wingender