Bundesbank erhöht Leitzins weiter

Geschäftsbanken müssen ab sofort höhere Zinsen fürs Notenbankgeld zahlen/ Diskontsatz bei 8,75 Prozent, Lombardsatz bleibt bei 9,75 Prozent/ Geldmengenwachstum soll gebremst werden  ■ Von Donata Riedel

Frankfurt/Berlin (taz) — An Geld herrscht kein Mangel — im Gegenteil: Es ist weitaus mehr Geld im Umlauf, als den Währungshütern der Deutschen Bundesbank lieb ist. Auf seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause hat deshalb gestern der Zentralbankrat den Geldpreis weiter heraufgesetzt: den Leitzins Diskontsatz von seiner bisherigen Rekordhöhe 8,0 auf 8,75 Prozent. Den Lombardsatz ließ das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank in Frankfurt bei 9,75 Prozent.

Zu den Leitzinssätzen können sich die Geschäftsbanken bei der Notenbank mit Geld versorgen. Zum niedrigeren Diskontsatz bekommen die Banken begrenzt Geld für ihre Basisversorgung, zum teureren Lombardsatz können sie darüber hinaus zusätzlich auch kurzfristig ihre Liquidität erhöhen.

Die Bundesbank will mit ihrem Beschluß von gestern das Geldmengenwachstum und die zu starke Ausweitung des Kreditvolumens begrenzen. Mit dem beschlossenen Schritt, so die Zentralbankräte, solle das Vertrauen in die Stabilität der D- Mark „auch unter den zur Zeit erschwerten Verhältnissen im vereinten Deutschland“ gestärkt werden.

Denn die Geldmenge M3, zu der neben dem umlaufenden Bargeld Sicht-, Termin- und Spareinlagen zählen, wächst mit einer Jahresrate von neun Prozent. Die Bundesbank hatte jedoch nur 3,5 bis 5,5 Prozent als „Zielkorridor“ für dieses Jahr vorgesehen, den der Zentralbankrat gestern erneut bekräftigte.

Wenn deutlich mehr Geld in Umlauf ist, als Waren und Dienstleistungen produziert werden, droht Inflation, das Geld verliert also an Wert. Die Bundesbank, die qua Gesetz dafür zu sorgen hat, daß die Mark stabil bleibt, mußte also auf das beschleunigte Geldmengenwachstum reagieren. Manch ein Experte hatte sogar erwartet, daß der Zentralbankrat eine Mengenbegrenzung für Lombardgeld einführen würde, das die Geschäftsbanken heute im Prinzip unbegrenzt aufnehmen können.

Eine Anhebung der Leitzinsen bedeutet heute allerdings nicht mehr automatisch ein Steigen der Kreditzinsen am Markt. Neben den offiziellen Leitzinssätzen haben nämlich die sogenannten Wertpapier-Pensionsgeschäfte zunehmend Bedeutung erlangt. Sie funktionieren nach dem Muster von Auktionen: Die Bundesbank fordert dabei die Geschäftsbanken auf, ein Gebot abzugeben, das neben der benötigten Geldmenge auch einen Zinssatz enthält. Dieses Gebot vergleicht die Bundesbank mit ihren eigenen Schätzungen über den Geldbedarf der Banken und erteilt danach den Zuschlag. Am Mittwoch wurden so 32,3 Milliarden Mark (Laufzeit 35 Tage) für 9,65 Prozent Zinsen an die Geschäftsbanken ausgegeben und weitere zehn Milliarden (Laufzeit 63 Tage) für 9,7 Prozent. Die gutverdienenden Geschäftsbanken haben damit selbst gezeigt, daß sie durchaus bereit sind, höhere Zinsen für Bundesbankgeld zu zahlen.

Der in- und ausländischen Kritik an ihren heutigen Beschlüssen zur Verschärfung der Hochzinspolitik war das Direktorium der Bundesbank bereits am Dienstag entgegengetreten — zeitgleich mit der Veröffentlichung einer in Frankfurt als sehr hilfreich empfundenen Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Beratungsgremium der 24 Industriestaaten). Die OECD-Volkswirte hatten die straffe Geldpolitik der deutschen Notenbanker gelobt und sie aufgefordert, in ihren Bemühungen zur Dämpfung der Inflation nicht nachzulassen.

Gleichzeitig traten die Bundesbanker der Kritik aus EG-Ländern entgegen: Sie hätten durch die Wiedervereinigung Deutschlands vor allem profitiert. Denn auch sie konnten und können wegen des Nachholbedarfs in den neuen Bundesländern massenhaft Waren absetzen.

Während der Sitzung der EG-Finanzminister Anfang der Woche in Brüssel hatten nämlich der Brite Norman Lamont und der Franzose Michel Sapin ihre Kritik wiederholt, daß die hohen Zinsen im Land der europäischen Ankerwährung D-Mark automatisch Leitzinssenkungen in den anderen EG-Ländern verhinderten. Die britische und die französische Regierung streben niedrigere Zinsen an, um die Wirtschaft ihrer Länder anzukurbeln. Dazu merkten die Bundesbanker an, daß ja auch die EG-Partner kein Interesse an einer aufgeweichten Ankerwährung im Europäischen Währungssystem haben könnten.

Bis gestern konnten sich also die Spekulanten aller Länder in Ruhe auf die leichte Anhebung deutscher Leitzinsen einstellen. Zur weiteren Besänftigung der Kritiker merkten die Bundesbanker an, daß die Zinssätze nur für kurzfristige Kredite hoch seien. Für langfristig ausgeliehenes Geld, wie für den privaten Hausbau oder Investitionen in Betriebe, seien die Zinsen hingegen in den vergangenen Monaten gesunken. Ob deshalb die Zinsbeschlüsse tatsächlich, wie im Lehrbuch beschrieben, die Konjunktur dämpfen, ist unter Experten umstritten.

Vor allem sind die Bundesbankbeschlüsse eine erneute Mahnung an die Finanzpolitiker der Bundesrepublik, nunmehr ernsthaft die Haushaltsdefizite abzubauen und den Auschwung Ost nicht weiterhin über teure Kredite zu finanzieren. Das grundlegende Dilemma, das die Bundesbanker bereits Anfang des Jahres beklagt haben, können sie allerdings auch mit den gestrigen Beschlüssen nicht aufheben. Das Dilemma nämlich, daß die Kreditkosten in Ostdeutschland kaum Wirkung zeigen, weil Investitionszuschüsse, Fördermittel und Steuererleichterungen diese Kosten heruntersubventionieren.