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Warnung vor „einseitigen Schritten“

■ Bei der Spaltung der CSFR geht es auch darum, wer die Rechtsnachfolge der Föderation antreten wird/ Miroslav Sladek erwartungsgemäß nicht zum Präsidenten gewählt

Die Regierung hat gewechselt, der Wind ist schärfer geworden: Monatelang hatten sich die tschechischen Politiker bemüht, die slowakische Souveränitätserklärung als verfassungsrechtlich unbedeutend herunterzuspielen. In den Tagen vor deren Verabschiedung wurde in Prag nun vor „überraschenden Entwicklungen“ gewarnt. Heißen kann das nur soviel: Wenn die tschechische Regierung die Deklaration des slowakischen Parlaments als einen Bruch der Verfassung der CSFR bewertet, kann sie diese auch als „einseitigen Schritt“ verurteilen.

Und dieser „Schritt“ wird Konsequenzen haben: Nicht die tschechische, sondern die slowakische Republik sei aus der Föderation ausgetreten. Prag könnte somit beanspruchen, daß die Tschechische Republik als alleinige Rechtsnachfolgerin der CSFR gilt. Ja sie könnte sogar, so eine Überlegung, den Namen „Tschechoslowakei“ beibehalten. Die Slowakei müßte dagegen über 1000 internationale Verträge — darunter auch das Assoziierungsabkommen mit der EG — neu aushandeln. Verantwortlich gemacht für die Zerschlagung der CSFR, wird sie um die Anerkennung durch andere Staaten heftig werben müssen.

Obwohl Vaclav Klaus und Vladimir Meciar sich auf eine „sanfte“ Trennung der CSFR bis zum 30. September geeinigt haben, sind die konservativen Parteien spätestens seit den Parlamentswahlen im Juni bemüht, die Verantwortung für die Teilung des Landes der Slowakei in die Schuhe zu schieben. Zu ihrem politischen Konzept gehört die Meinungsmache der Medien ebenso wie die Wahl bzw. Nichtwahl Havels. Während tschechische Zeitungen die ihrer Ansicht nach am slowakischen Horizont heraufziehende „Diktatur“ in grellsten Farben malen, blickt die Welt entsetzt auf die slowakischen Abgeordneten der Föderalversammlung: Sie haben dem „Dichterpräsidenten“ die Stimme verweigert.

Die Nichtwahl Havels vor zwei Wochen ist jedoch vor allem auf einen Überraschungscoup von Klaus zurückzuführen. Die ursprünglich zwischen beiden Wahlgängen vorgesehene Frist von zwei Wochen wurde aufgehoben, politische Absprachen, die eine Wiederwahl Havels doch noch ermöglicht hätten, verhindert. Dazu paßt, daß Vaclav Klaus noch am gleichen Abend nach London reiste, wo er mit den slowakischen Stimmen gegen Havel im Rücken für einen schnellen Eintritt der Tschechischen Republik in die EG werben konnte.

Gleichzeitig ist Klaus damit beschäftigt, die BürgerInnen Böhmens und Mährens ein tschechisches Selbstbewußtsein zu lehren. Nachdem viele Tschechen noch immer an der Idee des „Tschechoslowakismus“ festhalten, müsse die neue Regierung nun die Interessen des tschechischen Nationalstaates formulieren. Zweifel an der unbehinderten Entwicklung seiner Republik scheint Klaus nur im Falle des deutsch-tschechoslowakischen Vertrages zu haben. Falls Bayern nach der Teilung der CSFR eine Neuverhandlung des Vertrages fordern sollte, werde er alles tun, um die tschechischen Interessen zu wahren.

Vaclav Havel selbst, der sich in den Diskussionen über die staatsrechtliche Ordnung stets für ein besseres Verständnis der slowakischen Positionen eingesetzt hatte, hat sich in den Verhandlungen der letzten Wochen dem Standpunkt von Vaclav Klaus angenähert. Zugleich ist er jedoch nicht bereit, ohne Bedingungen das noch zu schaffende Amt eines tschechischen Präsidenten zu übernehmen. Eine Vorzeigefigur „in Anzug und Krawatte“ wolle er nicht sein, statt dessen müsse diese Position mit bestimmten Machtkompetenzen ausgestattet sein. Während der jetzige tschechoslowakische Staatschef vom Parlament bestimmt wird, könne der tschechische direkt vom Volk gewählt werden.

Die Wahrscheinlichkeit, daß es der Prager Föderalversammlung bis zur Trennung der Republiken nicht mehr gelingen wird, einen Staatspräsidenten zu wählen, ist gestern weiter gestiegen. In der zweiten Wahlrunde gelang es dem rechtsradikalen Miroslav Sladek nicht, die erforderliche Mehrheit zu erhalten.

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