Die Unabhängigkeit, die keiner mehr will

■ Die Nationalisten um Regierungschef Meciar haben sich verrannt. Eine Abspaltung von der CSFR brächte nur Nachteile für die Slowakei. Das Land ist auf eine Unabhängigkeit gar nicht vorbereitet...

Die Unabhängigkeit, die keiner mehr will Die Nationalisten um Regierungschef Meciar haben sich verrannt. Eine Abspaltung von der CSFR brächte nur Nachteile für die Slowakei. Das Land ist auf eine Unabhängigkeit gar nicht vorbereitet. Aus Prag kommen deutliche Warnungen.

VON SABINE HERRE

Alles begann mit dem Gefühl einer zweifachen Minderwertigkeit. Da war einerseits die Slowakei, ein 5-Millionen-Einwohner- Land im Osten Europas, das sich permanent im Schatten des goldenen Prag stehen sah. Und da waren die Politiker, die dies im unverkennbaren Willen um einen Zuwachs ihrer Macht ändern wollten. Vor allem der christdemokratische slowakische Regierungschef Jan Carnogursky bemühte sich um ein „Sternchen“, das die Slowakei auf der Europaflagge erhalten sollte. Mit einer ständig wiederholten Drohung versuchte er, die „Prager Zentralisten“ das Fürchten zu lehren. Das Parlament in Bratislava werde, so hieß es, „demnächst“ die Souveränität der Slowakischen Republik erklären.

Daß es dazu erst am heutigen Freitag kommt, hängt nicht zuletzt mit einem Seminar im englischen Oxford im Herbst 1991 zusammen. Hinter die mittelalterlichen Mauern der traditionsreichen Universität hatte der tschechische Premier Petr Pithart seinen slowakischen Gegenspieler Carnogursky geladen. Auf „neutralem Gelände“ wollte er ihm die Folgen seiner politischen Ziele deutlich vor Augen führen. Eine slowakische Republik, so mußte der Christdemokrat nach einer durchzechten Nacht schließlich einsehen, würde ökonomisch schnell hinter die entwickeltere Tschechische Republik zurückfallen, eine Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft bis zum Jahr 2000 sei ein kaum zu realisierender Wunschtraum.

Doch während Carnogursky von nun an Forderungen nach einer souveränen slowakischen Republik zurückschraubte, schlug die Stunde Vladimir Meciars. Der ehrgeizige Gründer der Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS), der im Frühjahr 91 das Amt des slowakischen Ministerpräsidenten an Jan Carnogursky abtreten mußte, hatte diese Entmachtung nie überwunden. Nun sah er die Chance für seine Rache, nun trieb er den bereits gezügelt scheinenden nationalistischen Gaul erneut an.

Die Stimmung im Land war schlecht, die Prager Wirtschaftsreformen hatten die Arbeitslosigkeit in der Slowakei auf über 10 Prozent ansteigen lassen, der Beschluß der Rüstungskonversion gefährdete eine der wichtigsten slowakischen Industrien. Und so forderte Meciar nun nicht nur die nationale Emanzipation der SlowakInnen, zugleich sollten diese auch über ihren Weg der wirtschaftlichen Reformen entscheiden dürfen. Und genau hier — soviel haben jüngste Meinungsumfragen deutlich gemacht — liegt dann auch der Grund für den Wahlsieg Meciars. Diffuse nationale Sehnsüchte haben dagegen kaum eine Rolle gespielt. Die sogenannten „Lumpennationalisten“, Parteien, die für eine sofortige Spaltung der CSFR waren, kamen über 3 Prozent nicht hinaus.

Doch gerade die Wirtschaftsreformen sorgen für Konfliktpotential mit Prag. Ihre Korrektur wurde und wird von dem tschechischen Wahlsieger Vaclav Klaus aufs schärfste abgelehnt. Eine Unterstützung defizitärer Betriebe wäre nur durch eine weitere Verschuldung des Staates möglich, die Ausgabe von staatlichen Schuldscheinen würde die fast schon gebremste Inflation anheizen. Weshalb die Ökonomen der tschechischen Regierung dann auch schon heftig über eine Möglichkeit nachdenken, wie sie die gemeinsame Währung trennen könnten.

Geringere Bedeutung als den wirtschaftlichen Plänen der slowakischen Regierung wurde dagegen bisher der Souveränitätserklärung des slowakischen Parlamentes beigemessen. Schon die Regierung Pithart hatte festgestellt, daß die Souveränität der beiden Teilrepubliken bereits in der Verfassung des Jahres 1968 festgeschrieben sei, ihre Deklaration somit als symbolischer Akt gesehen werden kann.

Eine Interpretation, die nun auch von der slowakischen Regierung übernommen wurde (siehe Interview). Denn die Männer um Vladmir Meciar hat inzwischen die Oxford- Erkenntnis Jan Carnogurskys eingeholt. Sie wissen, daß sie bei einer Trennung von der Tschechoslowakei nur verlieren können. Und sie wissen, daß sie sich ins Abseits manövriert haben. Da der tschechische Premier Vaclav Klaus, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Pithart mit einem überzeugenden Wahlsieg in der Tasche, das von den Slowaken geforderte gemeinsame Bündnis zwischen einer tschechischen und einer slowakischen Republik ablehnte, hat sich die HZDS jeden alternativen Ausweg versperrt: Würde sie das ursprüngliche Klaus'sche Modell einer „starken Föderation“ doch noch akzeptieren, käme dies der totalen Aufgabe ihrer politischen Forderungen gleich.

Verwirklicht die tschechische Regierung dagegen die nun von ihr angestrebte schnelle Trennung tatsächlich, ist die Slowakei auf ihre Unabhängigkeit nicht vorbereitet. So mußte Meciar bereits eingestehen, daß die Slowakei derzeit nicht in der Lage ist, eine eigene Währung einzuführen.

Da der slowakische Ministerpräsident jedoch nicht bereits im ersten Monat nach seinem Wahlsieg sein Scheitern eingestehen kann, appelliert er nun an die Opferbereitschaft der SlowakInnen. Da die tschechische Seite bewußt die Spaltung betreibe, müßten alle SlowakInnen ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit zusammenhalten, es gelte den Gürtel enger zu schnallen. Und während der ehemalige Kommunist jede Verbindung zum klerikalfaschistischen Tiso-Staat bisher ablehnte, werden jetzt auch in seiner Partei Formulierungen laut, die an den Sprachgebrauch dieser Zeit erinnern: So gelte es, nun eine einheitliche slowakische Kultur zu schaffen. Und natürlich dient in dieser Situation auch die Souveränitätserklärung der Stärkung des nationalen Selbstbewußtseins: Im ganzen Land sollen Freudenfeuer entzündet werden.

Ob den SlowakInnen jedoch tatsächlich zum Feiern zumute ist, scheint fraglich. Sie haben die monatelangen Diskussionen über die staatsrechtliche Ordnung gründlich satt, sie wollen endlich Taten zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme sehen. Selbst am Platz des slowakischen Nationalaufstandes in Bratislava, dort wo noch im März ein Meer von slowakischen Fahnen wehte, erinnern nur noch die Absperrgitter an die Demonstrationen für einen unabhängigen slowakischen Staat.