Henning Voscherau auf dem langen Marsch

■ Chinareise / Bürgermeister will Städtepartnerschaft mit Shanghai aktivieren / Amnesty: In China hat sich nichts geändert

/ Bürgermeister will Städtepartnerschaft mit Shanghai aktivieren / Amnesty: In China hat sich nichts geändert

Hamburg setzt sich an die Spitze der Fernost-Karawane. Drei Jahre nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, drei Monate nach der Entscheidung des Bundestags, die Kontakte zu China wieder auszubauen, will der Senat die Städtepartnerschaft mit Shanghai wieder aktivieren. Wenn sich nicht noch jemand vordrängelt, wird Henning Voscherau wohl der erste Ministerpräsident sein, der nach 1989 das Reich der Mitte besucht.

Reimer Rohde, Leiter des für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Staatsamtes, wertete die Exkursion gestern als Zeichen der „Bereitschaft aufeinander zuzugehen“ und sicherte für seinen derzeit urlaubenden Chef zu, daß man das Thema Menschenrechte nicht aussparen werde. Entsprechende Reisetips gaben gestern auch die drei Oppositionsparteien. „Wer nach China reist, ohne die Menschenrechte im Gepäck zu haben, sollte am besten gleich dort bleiben,“ empfahl beispielsweise der FDP-Landesvorsitzende Robert Vogel.

Voscherau sollte einen Extra- Koffer einplanen. Denn nach dem im Mai erschienenen Menschenrechts-Bericht von Amnesty International hat sich in China seit 1989 kaum etwas geändert. Im ganzen Land „werden Menschenrechte unvermindert“ verletzt. Es gebe nach wie vor tausende politischer Gefangene, Folterungen und Todesurteile nach Schnellverfahren. Tendenz steigend. 750 vollstreckte Todesurteile 1990 (nach offiziellen Angaben aus Peking), 1000 im Jahr 1991. 100 allein im Januar 1992. Nach wie vor werden Menschen verhaftet, „die sich für Demokratie eingesetzt haben, die einer ethnischen Minderheit oder einer religiösen Gruppierung angehören.“ Regierungs-Verbrechen, die der Hamburger Senat 1989 mit dem Einfrieren der Städtepartnerschaft quittierte.

Die im September zu vollziehende Kehrtwende kündigte sich schon vor einigen Wochen an. Eine Delegation des Shanghaier Volkskongresses besuchte Hamburg. Gastgeberin Bürgerschaftspräsidentin Elisabeth Kiausch. Kostprobe für das, was Voscherau erwartet, falls er in der Tat den Menschenrechtskoffer auspackt. Eine Kostprobe vielleicht auch für die Art und Weise, wie der Sozialdemokrat das Thema angeht: Bei einem Gespräch mit Bürgerschaftsabgeordneten im Hamburger Rathaus wollten die GALierinnen Simone Dietz und Conny Jürgens der chinesischen Delegation eine Liste mit 900 Namen von politischen Gefangenen übergeben.

„Die Delegation,“ berichten die GALierinnen, „faßte das Papier noch nicht einmal an.“ Begründung der Chinesen: Die Namen seien erfunden, die Leute gebe es nicht. Im übrigen hätten die Studenten der Demokratiebewegung inzwischen eingesehen, daß sie 1989 zu weit gegangen seien.

Voscheraus Parteifreundin Kiausch soll sich nach diesem Intermezzo dafür bedankt haben, daß sich die Chinesen auch zu kritischen Themen so ausführlich geäußert hätten. Uli Exner