In Italien häufen sich merkwürdige Besuche bei Politikern, Ermittlern, Geheimdienstlern, Hournalisten und gewöhnlichen Vips

■ Neuer Volkssport Prominenten-Einbruch?

Neuer Volkssport Prominenten-Einbruch?

Rom (taz) — Die Ermittler der Zentralen Fahndungsstelle DIGOS vermuten hinter den Aktionen eine „superheiße Geschichte“; der bis vor kurzem amtierende Innen-, mittlerweile Außenminister Enzo Scotti, selbst betroffen, glaubt „eine präzise Regie“ zu erkennen. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Bettino Craxi, seit jeher gewohnt, alles im Lande Geschehende auf sich zu beziehen, ist sich — als ebenfalls Betroffener — sicher, daß da „eine genau geplante Strategie gegen mich und meine Familie“ in Gang gesetzt wurde.

Die Rede ist von einer geradezu einmaligen Serie von Einbrüchen innerhalb der letzten Monate, denen allen eines gemeinsam ist: Sie finden in meist gut gesicherten Büros oder Wohnungen überwiegend Prominenter, am liebsten von Geheimnisträgern oder vermuteten solchen statt. Und: Sie verursachen in der Regel keinen großen materiellen Schaden. Oft fehlt nichts, meist ist nicht einmal die Tür aufgebrochen, das Schloß in der Regel unverletzt. Doch die Spuren des Besuchs sind unübersehbar.

Erwischt hat es in den letzten Monaten Fußballer wie Lothar Matthäus (dem aber nur der „Goldene Ball“ geklaut wurde) und Journalisten wie den durch seine Politsendungen bekannten Fernsehmoderator Michele Santoro (Verwüstung, keine Entwendung). Dem Chef der norditalienischen Separatismus-Bewegung, Umberto Bossi, wurden Kassenschränke und Schubladen aufgebrochen, doch nichts gestohlen; dem Generaldirektor des Zivilschutzes, Elveno Pastorelli, fehlten danach immerhin einige Silberbestecke, während Wertvolles liegenblieb, der Chefredakteur von L'Europeo klagt, daß die Besucher Dokumente gesichtet und nicht wieder in die Ordner zurückgesteckt haben. Visiten vermelden der bisherige Außenminister De Michelis ebenso wie der Vorsitzende des größten Gewerkschaftsverbandes CGIL, Bruno Trentin, der Landwirtschafts- ebenso wie der Postminister, Verteidigungs- und Kulturstaatssekretäre mußten einige Male morgens ebenso aufräumen wie ihre Kollegen vom Industrie- und vom Handelsressort und der Generaldirektor des staatlichen Rundfunks RAI. Generäle, Präfekten, Chefs von Banken, der Florentiner Regionalleiter des militärischen Geheimdienstes SISMI — keiner scheint vor dem unerwünschten Zugriff sicher. In Rom klauten Diebe direkt vor der Zentrale der Gegenspionage einen mit allen Alarmanlagen ausgestatteten Fiat Uno des Geheimdienstes.

In manchen Fällen kann man immerhin Mutmaßungen anstellen, was die Einbrecher wollten. Beim damaligen Innenminister Scotti sichteten sie seine geplanten Aktionen gegen die Organisierte Kriminalität und brachten einen als Knaller gedachten Rundbrief an alle Präfekten vorab in die Presse. Der Transportminister vermißte einen vollen Tag lang seine Aktentasche — geklaut aus seinem Dienstwagen, tags danach lag sie wieder drin, aber die Dokumente waren alle durcheinander. Dafür schlugen einige seiner Aktionen fehl, weil wichtige Informationen über Ausschreibungen durchsickerten. Staatsanwalt Leonardo Grassi, der aus Bologna nach Rom gefahren war, um seinem Kollegen Rosario Priore Dokumente über den 1980 erfolgten Abschuß einer DC-9-Maschine über der Mittelmeerinsel Ustica zu übergeben — als er in Rom nachsah, war die Aktentasche weg, obwohl er fortwährend eine Eskorte hinter sich hatte. Kurze Zeit später erwischte es gleich den ganzen für diesen Fall zuständigen Ermittlerpool: Alle acht Staatsanwälte meldeten zeitgleich Einbrüche in ihre Büros und Wohnungen. Ebenfalls nächtlich durchsucht wurden die Räume der Parlamentskommission, die den Skandal der „Banca nazionale del lavoro“ aufhellen soll (die BNL-Filiale in Atlanta/USA hatte am Embargo vorbei mit fünf Milliarden Dollar die Aufrüstung des Iraks finanziert): „Die nehmen nicht, wie ein braver Dieb, die teuren Fotokopiergeräte mit“, fluchte ein Polizist am nächsten Morgen, „nein: Die schalten die Apparate in aller Ruhe ein und lichten die für sie interessanten Dokumente direkt am Ort ab.“

Auch die taz-Italien-Vertretung erfreute sich einschlägiger Aufmerksamkeit: Zuerst wurde, im Frühjahr 1991, das Archiv konsultiert, wobei die gesuchten Dokumente — zum Fall Ramstein — gut sichtbar auf dem Schreibtisch ausgebreitet liegenblieben. Dann verschwand, ohne jegliche Bruchspuren, die Videoanlage aus der Privatwohnung — wobei die Diebe andersherum vorgingen als sonst: Nicht Unordnung hinterließen sie, sondern legten die Videokassetten fein säuberlich sortiert auf den Eßtisch. Das Verbindungskabel hängten sie, eine Woche später, an den Gartenzaun, wo wir es, als Erinnerungsstück, hängen ließen. Vor wenigen Tagen verschwand es nun, vielleicht als neuer Gruß, vielleicht endgültig.

Manche dieser Einbrüche machen, soviel man auch rätselt, überhaupt keinen Sinn. Etwa der Besuch Unbekannter im Mailänder PSI- Büro, der den Sozialisten-Capo Bettino Craxi so erregt hatte. Da nämlich konnten die Einsteiger allenfalls eine Nach-Sichtung vornehmen, vorher schon waren Staatsanwälte und Carabinieri eingedrungen, und das höchst legal: Sie spüren seit Monaten Korruptionsfälle in wahren Massen auf und zeigen, daß die größten Diebe sicherlich nicht die nächtlichen Besucher sind, sondern die von den Parteien in lukrative Stellungen gehievten Freunde, die dann Schmiergelder für sich und ihre politischen Gruppen in astronomischer Höhe absahnen. Alleine in Mailand sind nach dem derzeitigen Ermittlungsstand in den letzten drei Jahren umgerechnet an die 700 Millionen DM Bestechungssummen geflossen.

Der oberste Chef der italienischen Polizei, Präfekt Vincenzo Parisi, vermutet hinter all diesen scheinbar wahllosen Brüchen „weniger konkrete Einzelziele als vielmehr eine wahre Destabilisierungsstrategie: Die wollen den Leuten, und zwar gerade den einflußreichen, so richtig zeigen, wie ungeschützt sie sind, wie ineffizient die Polizei ist, wie wenig wir Ordnungshüter gegen die Kriminalität vermögen.“

Da kann er wohl recht haben: Parisi weiß, wovon er spricht. Ihm hatten die Klaumichs zuallererst ihre Reverenz erwiesen — schon vor zwei Jahren, bevor die ganze Serie begann. Aus seinem gepanzerten Auto und dem seiner Eskorte wurde, am hellichten Tage und mitten in Rom und ohne daß auch nur die Spur von Kratzern entstand, das gesamte Schießwerkzeug — eine Beretta und drei Maschinenpistolen — geklaut. Werner Raith