Ingrid Köppe zum Knuddeln

■ „Dem Volke dienen“, ARD, Donnerstag, 20.15Uhr

Stell Dir vor, es ist Bundestagssitzung und kein Journalist geht hin. Das wäre wohl die schönste Konsequenz aus dem Appell von Christian Berg und Cordt Schnibben, den Job des Politikers nicht wichtiger zu nehmen als den des Müllmanns. In ihrem Fernseh-Essay „Dem Volke dienen“ sahen die beiden mehrfach prämierten Filmemacher dies als einzigen Ausweg, der allgemeinen Politikverdrossenheit wirksam entgegenzusteuern. Ihr Film, der nach den Motivationen fragt, die Politikerlaufbahn einzuschlagen, dürfte einige unserer Volksvertreter an den Rand des Herzinfarkts gebracht haben. Statt den Abgeordneten, Staatssekretären, Parteivorsitzenden und Ministern, die sich Tag und Nacht nur für das Wohl des Bürgers abrackern, ergebenst zu danken, entlarvten Schnibben und Berg sie zur besten Sendezeit mutig als eiskalte Karrieristen. Nur die Volksvertreter selbst, so ihr Befund, glaubten noch daran, daß sie dem Volke dienten. In Wirklichkeit gehe es ihnen aber um Macht, persönlichen Einfluß und eine stattliche Pension. Mutige Selbsterkenntnis des autoversessenen CDU-Verkehrsministers Günther Krause: „Wer intelligent ist und Geld machen will, geht in die Wirtschaft. Diejenigen, die nicht so viel Intelligenz aufbringen und trotzdem zu viel Geld kommen wollen, sitzen in Bonn.“

Diese Erkenntnis trifft alle Parteien gleichermaßen. An vier Nachwuchspolitikern von den Grünen bis zur CSU zeigten Schnibben und Berg den stromlinienförmigen Politikertypus der 90er Jahre auf: Gleich nach dem Studium stürzt er oder sie sich in ein Parlament oder Regierungsamt, um — wie Helmut Kohl — ein Leben lang darin zu verbleiben. Da macht der frühere Taxifahrer Joschka Fischer keine Ausnahme. Urteil der beiden Fernsehmacher über Hessens grünen Turnschuhminister: „Nur 20 Kilo von Helmut Kohl entfernt.“

Lediglich Ingrid Köppe vom Neuen Forum mochte man noch in den Arm nehmen und knuddeln. Im Bundestag gefällt es ihr nicht, klagt die Berufsbürgerbewegte, an Macht sei sie nicht interessiert, und allein das Wort „durchsetzen“ finde sie ganz schön brutal. Aber haben wir Westler solche Töne von den Grün- Alternativen nicht auch mal gehört? Warte nur, liebe Ingrid, bis zum Ende der Legislaturperiode. Möchtest Du nicht doch wieder kandidieren? Du kennst Dich auf der parlamentarischen Bühne so gut aus...

Wer gefällig mithilft, aus langweiligen Politikern gewichtige Volksvertreter zu machen, haben Schnibben und Berg in ihrem treffenden Essay allerdings fast außer acht gelassen. Wer schreibt denn aus jedem Furz eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Parteitagsdelegierten oder dingsbumspolitischen Sprechers eine Meldung? Wer wertet in Rathauskolumnen den banalen Polittratsch auf, macht aus pressegeilen Hanswürsten die großen Stars mit menschlichen Zügen? — Fragen, die genügend Stoff für einen zweiten Film böten. Titelvorschlag: „Dem Volke berichten — Warum werden Menschen eigentlich Journalisten?“ Micha Schulze