INTERVIEW
: „Irgendwas anschieben“

■ Der Kabarettist Dieter Hildebrandt gehört zu den Erstunterzeichnern des Diestel-Gysi-Projektes „Komitee für Gerechtigkeit“

taz: Wenn man demnächst ein „Komitee für den Frieden“ gründen würde, wären Sie dann auch bei den Erstunterzeichnern?

Dieter Hildebrandt: Halten Sie das Ganze für so sinnlos, daß Sie mir diese Frage stellen?

Der Begriff der Gerechtigkeit ist dermaßen plakativ und anmaßend, der Text so allgemein gehalten, daß ihn wirklich jede/r unterschreiben kann, weswegen ich mich sehr über Ihre Unterschrift gewundert habe.

Der Titel hat mich auch gestört, ebenso wie die Person des Herrn Diestel.

Herr Gysi nicht?

Gysi weniger. Aber auch Herr Diestel hat mich dann nicht so gestört, weil ich gemerkt habe, daß er in diesem Kreise nur sich selbst vertritt, also eine verschwindende Minderheit ist. Und vielleicht verschwindet diese Minderheit ja mal. Ich habe das Ganze auch nicht als länger andauernde Angelegenheit betrachtet und habe auch vorher gesagt, sofern es darum gehen sollte, daß die Herren Diestel und Gysi eine Partei aufmachen wollen, dann ziehe ich alles sofort zurück. Aber: Der Text ist ganz gut, er könnte eine vorübergehende Denkhilfe sein. In einer Zeit, wo der Bundestag in die Ferien und der Kanzler an den Wolfgangsee verschwindet, wird es wieder eine lange Pause geben im Nachdenken darüber, was denn nun mit Ost und West passiert. Ich unterschreibe überhaupt nicht gern Aufrufe. Ich stehe ohnehin immer zwischen Albertz, Walser und Zwerenz. Aber in diesem Kreis fühle ich mich in einer guten Gesellschaft.

Die gute Gesellschaft, die müssen Sie mir erklären. Da setzen doch die verschiedensten Interessengruppen ihren Otto drunter, weil sie ganz plakativ für oder gegen etwas sind. Und dann kochen sie ihre diversen Süppchen.

Na gut, dann hängt man eben erst mal das Plakat auf, läßt die Leute zusammenkommen und denken. Von den Unterzeichnern aus dem Westen mag der eine oder andere nicht so ganz in diesen Rahmen passen. Als aber die Bitte kam, zu unterschreiben, konnte ich nicht nein sagen, weil ich dachte: „Dies ist vielleicht eine Denkhilfe“.

Wer hat Sie denn gefragt?

Der Gysi.

Und Sie haben auch sofort unterschrieben?

(Lacht). Nein. Ich habe natürlich lange gezögert. Ich dachte, irgendwas muß man machen, anschieben. Ich habe das zunächst einmal für eine Initiative gehalten, und Initiativen an diesem Punkt sind mit recht. Meine besten Freunde sind nicht meiner Meinung. Es scheint also doch irgendwie etwas berührt zu haben. Vielleicht ist es ein Windei, aber zumindest ist es was. Die CSU regt sich so wahnsinnig auf, und das gefällt mir. Und die CDU regt sich auch auf, und ein FDPler bezeichnete die Unterzeichner als Rattenfänger, was ich natürlich besonders gelungen finde, denn: Welche Ratten will er fangen? Sind es die Wähler, die er will und nicht kriegt? Es hat zu großen Ausbrüchen geführt. Wahrscheinlich hat sich der Bundeskanzler aber überhaupt nicht geäußert, sondern nur ein verächtliches „Puh“ von sich gegeben.

Sind die Parteien so am Ende, hat die Politik so versagt, daß man diese Art von Aktionen braucht?

Alles drängt zu einer großen Koalition. Vor der habe ich Bedenken. Ich dachte, vielleicht gibt es so etwas wie eine neue, außerparlamentarische Opposition. Mit der SPD als Opposition in Zukunft ist allein nicht auszukommen, diese Erfahrung haben wir ja nun gemacht.

Eigentlich hätte ich eher erwartet, daß Sie sich dieser Komitees satirisch-kabarettistisch annehmen. Machen sie stattdessen jetzt Werbung?

Nein, niemals! Vielleicht habe ich ja einen Fehler gemacht, und dann werde ich das auch erwähnen. Ich habe schon so viel unterschrieben in den letzten 35 Jahren, wo sich da und dort herausstellte, daß ich das besser hätte sein lassen sollen.

Was haben Sie denn sonst in der letzten Zeit unterschrieben?

Aufrufe gegen das und jenes. Sie wissen auch, um was es sich da handelt, hat viel mit Frieden und Anti- Pershing etc. zu tun. Wo man sich immer wiederfand, auf einem Platz, wo vorne und hinten der stand, der beim letzten Aufruf auch schon drunter stand. Das ist teilweise auch ein bißchen komisch, weil die Erfolglosigkeit immer garantiert ist. Aber, ich kann mir nicht helfen, gar nichts zu tun — ist noch suspekter.

Ist Ihr Beruf nicht schon Programm genug?

Ach, ich weiß nicht.

Die schwierige Situation in den neuen Ländern streitet niemand ab. Was soll denn Ihrer Meinung nach nun geschehen?

Im Denken muß sich etwas verselbständigen. Es muß aufhören, daß man Osten mit einer Unterbetonung ausspricht und Westen auch. Unser Austausch muß intensiver werden, das erscheint mir auch in dem Aufruf als das Wichtigste. Es geht nicht so sehr um die Arbeitsplätze, das Wirtschaftliche, das ist wirklich eine Frage, die die Parteien zu klären haben. Hier geht es mehr ums Kulturelle, um das Denkpotential.

Das finde ich gerade nicht. Der Aufruf appelliert an ein Ohnmachtsgefühl der Menschen in den neuen Ländern, Heym prägte den Begriff der westlichen „Dampfwalze“, die über den Osten rollte. Die „Kolonisierten“ wollen alles, und zwar anders und sofort, und dann noch am besten per Beschluß und Vereinsbeitritt.

Sollte sich das so entwickeln und immer mehr zu einem Club oder einer Partei werden, distanziere ich mich sofort.

Wer ist denn Ihrer Meinung nach der bessere Kabarettist, der Diestel oder Sie?

Ich weiß nicht, ob der Diestel mit Absicht komisch ist. Ich bin es jedenfalls.

Sind die Zeiten jetzt für Kabarettisten besonders spannend?

Die Frage wird mir seit 35 Jahren zweimal jährlich gestellt. Als ich anfing damit, war das Kabarett eigentlich schon tot. 35 Jahre lang habe ich es beerdigt, aber es kommen immer noch sehr viele zur Trauerfeier.

Was heißt denn für Sie in der jetzigen gesellschaftspolitischen Situation Opposition?

Das fängt schon mal an beim Wort, in dem ja „Position“ enthalten ist, als diejenige, die jemand einnimmt, der nicht an der Regierung ist. Eine sehr wache, sagen wir beredte und leidenschaftliche Position einnehmen sollte. Die Sozialdemokraten aber laufen mit angezogener Handbremse. Ganz abgesehen davon, daß man so Menschen wie Herbert Wehner einfach vermißt. Die Bonner Fraktion ist nicht heterogen genug, ich vergesse dauernd die Namen, die Gesichter, es taucht keiner auf, wo man aus dem Bauch heraus vielleicht sogar lachen oder über ihn klatschen kann. Das habe ich früher getan. Diese Demokratie lebt doch davon, daß es vor unseren Augen Zusammenstöße gibt! Wenn es die große Koalition gibt, wird es noch langweiliger. Wir haben keine Parteienverdrossenheit, sondern eine Demokratieverdrossenheit. Die spielen ein schlechtes Stück.

Welche Figur gefällt Ihnen denn im Osten am besten?

Mit Abstand die Regine Hildebrandt. Davon brauchten wir noch zehn oder fünfzehn.

Wo sollen die denn herkommen?

Keine Ahnung. Im Moment gibt es jedenfalls eine Reihe von sehr guten Kabarettisten. Ich weiß auch nicht, wo die hergekommen sind (lacht). Interview: Andrea Seibel