Slowakei: Souverän nach 1.000 Jahren

■ Der CSFR-Präsident Havel kündigt nach der Souveränitätserklärung der Slowakei seinen Rücktritt an/ Der Unabhängigkeitserklärung kommt verfassungsrechtlich jedoch keine Bedeutung zu

Prag (afp/taz) — Mit Überraschungen hatte eigenlich niemand gerechnet. Bereits seit Tagen stand fest, daß der slowakische Nationalrat am Freitag die Souveränität der slowakischen Republik erklären werde, nach mehrfachen Interpretationen der tschechoslowakischen Verfassung war klar, daß dieser Erklärung verfassungsrechtlich keine Bedeutung zukommen werde. Wenige Minuten nachdem der slowakische Nationalrat dann jedoch mit 113 zu 24 Stimmen das Dokument angenommen hatte, lief über die Ticker eine zweite Eilmeldung: In einem Schreiben an das Prager Bundesparlament kündigte Staatspräsident Vaclav Havel seinen Rücktritt an. Da er vor zwei Wochen nicht erneut das Vertrauen des Parlaments für eine zweite Amtszeit erhalten hatte, wird er dieses nun am kommenden Montag um 18 Uhr niederlegen.

Die Abgeordneten in Bratislava hatten sich zuvor pathetisch gezeigt: „Wir, der demokratisch gewählte Slowakische Nationalrat“ — so formulierten sie in dem Dokument — „erklären festlich, daß sich das tausendjährige Streben der slowakischen Nation nach einer eigenen Identität nun erfüllt hat.“

Und auch der slowakische Ministerpräsident Vladimir Meciar sprach von einem „historischen, seit mehr als tausend Jahren erwarteten Augenblick“. „Zum ersten Mal haben wir das Recht, über uns selbst zu entscheiden“, sagte Meciar, der Vorsitzende der Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS), in seiner mit starkem Beifall aufgenommenen Rede. Die Unabhängigkeitserklärung sei lediglich „politischer Art“ und nicht gleichzusetzen mit der Gründung eines unabhängigen Staates, betonte Meciar. Sie solle nicht in die Isolation führen, sondern ein Signal an ausländische Staaten geben, die Slowakei wie „ihresgleichen“ zu behandeln. Die „tschechischen Brüder“ in Prag forderte Meciar auf, lieber nach den gemeinsamen Interessen zu suchen, als darüber zu debattieren, ob die tschechische Republik eine Föderation oder eine Konföderation mit der Slowakei eingehen solle. Noch am Tag zuvor hatte Meciar die tschechischen Brüder jedoch alles andere als freundlich behandelt. Er warf ihnen vor, daß in dem von der tschechischen Regierung entwickelten Krisenszenarium für die Trennung der CSFR auch die Umsiedelung der im Norden Böhmens lebenden Roma in die Slowakei vorgesehen sei. Während Prag heftig dementierte, zeigte der Ministerpräsident sich bestürzt, daß im 20. Jahrhundert jemand in solchen Kategorien denken könnte. her