„Dichterpräsident“ Vaclav Havel tritt zurück

■ Einstiger Hoffnungsträger des Postkommunismus zog damit die Konsequenz aus dem Scheitern seiner Politik

Berlin (taz) — Wochenlang hatte er sich gedreht und gewunden, hatte gehofft, doch noch einen Ausweg aus der staatsrechtlichen Krise der Tschechoslowakei zu finden. Nun hat er sich entschlossen, einen Schlußpunkt zu setzen: Vaclav Havel wird am kommenden Montag von seinem Amt als Präsident der CSFR zurücktreten.

Kurz nachdem der slowakische Nationalrat gestern die Souveränität der slowakischen Republik erklärt hatte, zog Havel die Konsequenz aus dem Scheitern seiner Politik. Schließlich war er es gewesen, der sich seit mehr als zwei Jahren am entschiedensten für den Erhalt der tschechoslowakischen Föderation eingesetzt hatte. Der in fünfzehn „Gipfeltreffen“ die unterschiedlichen tschechischen und slowakischen Positionen in Einklang zu bringen versuchte.

Doch während er im ersten Jahr nach der „samtenen Revolution“ als die politische Integrationsfigur wirkte, nahm die Anerkennung trotz seines Engagements in der verfassungsrechtlichen Diskussion kontinuierlich ab. So zog er den Unwillen der Abgeordneten der Prager Föderalversammlung auf sich, als er im Herbst '91 die BürgerInnen aufforderte, Druck auf eben diese Abgeordneten auszuüben: Sie sollten ein Referendum über die Zukunft der CSFR vorbereiten.

Sinkenden Popularitätsquoten sah sich Havel vor allem in der Slowakei ausgesetzt. Da der Präsident seine Amtsgeschäfte nur selten in Bratislava ausübte, bezeichnete die Bevölkerung diese Kurzaufenthalte abwertend als „Besuche“. Als Havel Vladmir Meciar im Wahlkampf wiederholt kritisierte, nahmen die SlowakInnen dies auch als persönliche Kritik wahr.

Ein Grund für das Scheitern des Dichterpräsidenten liegt aber auch in der Veränderung des innenpolitischen Klimas. War noch in den ersten Monaten nach der Revolution über alternative Politikmodelle diskutiert worden, so trug man spätestens mit der Wahl von Vaclav Klaus zum Vorsitzenden des „Bürgerforums“ die „unpolitische Politik“ der ehemaligen Dissidenten zu Grabe. Wollte Havel das politische Leben vor allem von „Persönlichkeiten“ gelenkt sehen, entwickelten sich nun die Parteien zu alleinigen politischen Subjekten. Hatte Havel gemeinsam mit seinem Außenminister auf die mitteleuropäische Zusammenarbeit zwischen Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei und auf Blockfreiheit gesetzt, ging der Trend nun immer stärker in Richtung einer schnellen Eingliederung in Nato und EG. Anstelle einer Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit begann eine Hexenjagd auf ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes.

Wenn der „Dichterpräsident“ nun das für zweieinhalb Jahre unterbrochene Schreiben absurder Theaterstücke wiederaufnehmen kann, ist sein Wirken auf der politischen Weltbühne dennoch nicht folgenlos geblieben. Während die westeuropäischen Bürger schon wenige Monate nach der 89er Wende entsetzt auf die Ereignisse in Jugoslawien blickten, wurde Havel für sie zum „Hoffnungsträger“ des Postkommunismus. her