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Bush und Clinton werben um Perots Gefolgschaft

Der texanische Milliardär läßt seine Anhänger im Stich und gibt mit fadenscheinigen Argumenten seine Kampagne um das Weiße Haus auf, als sie zum ersten Mal zu stocken droht/ Das Team Clinton/Gore begeistert den demokratischen Parteitag  ■ Aus New York Andrea Böhm

Die Perot-Anhänger in Manhattans 42. Straße hatten gerade ihre Petitionen ausgepackt, um Unterschriften für die Kandidatur ihres Mannes in New York zu sammeln. Da tauchten die ersten Reporter mit der Hiobsbotschaft auf: Der texanische Milliardär, der ins Weiße Haus einziehen und „im Land aufräumen“ wollte, hat das Handtuch geworfen. Die ehrenamtlichen Wahlkämpfer reagierten ungläubig, geschockt — und schließlich wütend. „Ich fühle mich verraten und verkauft“, sagte einer, den Tränen nahe.

Die Hauptfigur selbst hatte die Nachricht kurz zuvor durchaus gut gelaunt auf einer Pressekonferenz in Dallas bekanntgegeben. Ziel seiner Kandidatur — die er im übrigen nie offiziell gemacht hat — sei immer gewesen, die Situation im Land zu verbessern, nicht aber weiter zu erschüttern. Er wolle nicht mit seiner Kandidatur die Wählerstimmen am 3. November so spalten, daß die endgültige Entscheidung über die Präsidentschaft im Repräsentanenhaus getroffen wird. Das geschieht, wenn kein Kandidat genügend Bundesstaaten gewinnt, um eine Mehrheit von 270 Stimmen im sogenannten Wahlmännergremium zu erzielen, das formal den Präsidenten bestimmt. Diese Notlösung, in der Verfassung vorgesehen, ist nicht besonders demokratisch, weil auf diese Weise ein Kandidat ohne Mehrheit der (wählenden) Bevölkerung ins Weiße Haus einziehen kann. Diese Option hätte das politische System wahrlich erschüttert — aber das hat Ross Perot von Anfang an gewußt.

Die Motive dürften eher anderswo zu suchen sein: Die Kandidatur für das Weiße Haus erwies sich als Spiel, dessen Regeln Ross Perot nicht selbst bestimmen konnte. Seine hemdsärmelige, aber inhaltlich diffuse Ankündigung, er werde „das Land aufräumen“, seine flapsige, oft rüde Art, inhaltliche Fragen von Journalisten beiseite zu fegen — das faszinierte anfangs Millionen von Wählern, als ihn das Etikett des erfolgreichen Geschäftsmannes leuchtend vom Berufsstand der Politiker abhob. Doch der Glanz verblaßte.

Der jähe Aufstieg des Texaners war in den letzten Wochen deutlich gebremst worden: In Medienberichten erschien Perot als autoritärer Verschwörungstheoretiker: seinen Angestellten hatte er eine Kleiderordnung vorgeschrieben und das Tragen von Bärten verboten; Geschäftskonkurrenten ließ er durchleuchten; er versuchte über mehrere Jahre, dem damaligen Vizepräsidenten Bush Verwicklung in die Iran- Contra-Affaire nachzuweisen, sammelte belastendes Material über das Geschäftsgebaren seiner Söhne — und investierte Unmengen an Geld, um zu beweisen, daß in Vietnam noch US-Kriegsgefangene festgehalten werden. Stutzig wurden viele, als bekannt wurde, daß Perot sogar seinen Kindern Privatdetektive hinterherschickte, wenn ihm deren Umgang nicht paßte oder er Kidnapper witterte. So sehr er es gewöhnt war, andere auszuspionieren und unter die Lupe zu nehmen, so wenig vertrug er, nun selbst im Rampenlicht und in der Schußlinie zu stehen. Am Montag hatte ihn eine Meinungsumfrage der Fernsehgesellschaft CBS erstmals unter 20 Prozent verortet — an dritter Stelle hinter Clinton und Bush. Hinzu kamen Konflikte mit seinen Wahlkampfberatern, die auf einen Mann stießen, der gewöhnt ist, Anordnungen zu erteilen, nicht aber Ratschläge entgegenzunehmen.

Perot wird seinen Ausstieg kaum zufällig an dem Tag bekanntgegeben haben, da Bill Clinton zum Abschluß des Parteitages der Demokraten in einer Rede seine Nominierung akzeptieren sollte. Ob der Texaner dem Gouverneur aus Arkansas damit die Show stehlen oder ihm einen Gefallen tun wollte — darüber gingen die Meinungen am Donnerstag in New York auseinander. Perot hatte in seiner Abschiedspressekonferenz Komplimente für die Demokraten parat: „Die Partei hat sich erneuert. Sie haben brillante Arbeit geleistet.“

Clinton hielt jedenfalls eine selbstbewußte und mitreißende Rede, was bei seinen rhetorischen Fähigkeiten nicht selbstverständlich ist, und pachtete ein paar zentrale Stücke aus Perots populistischem Erbe: die Rolle des Außenseiters, der gen Washington zieht, und die „Wir- schaffen-es“-Rhetorik. Der Präsidentschaftskandidat besetzte auch republikanisches Territorium: Der amerikanische Traum, Führungskraft, das Heil der Familie und Patriotismus waren zentrale Punkte der Rede. „Wenn Sie Ihre Macht nicht benutzen, um dem amerikanischen Volk zu helfen“, sagte Clinton an die Adresse Bushs, „dann treten Sie beiseite. Ich werde diese Macht nutzen.“

Am letzten Abend kam auch die große Stunde des Al Gore. Der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten präsentierte sich als beeindruckende Antwort der Demokraten auf Dan Quayle. Mußte sich Quayle bei seiner Nominierung 1988 Transparente mit der Aufschrift „Ganz hübsch, aber kann er auch tippen?“ gefallen lassen, so bewies Gore an diesem Abend, daß er zudem auch noch gut reden kann. Der Senator aus Tennessee funktionierte die 5.000 im Saal zum Chor für seine Rede um, und ließ sie mehrmals „It is time for them to go“ skandieren. Gemeint waren Bush und Quayle. Die Demoskopen stimmten mit ein und verkündeten, daß Clinton vor Bush liegt, und über die Hälfte der Perot-Wähler als zweite Wahl Bill Clinton auserkoren hätten. Aber Meinungsumfragen sind bekanntlich kurzlebig.

George Bush erfuhr von Ross Perots Ausstieg ausnahmsweise nicht beim Golfspielen in Kennebunkport, sondern beim Fischen in Wyoming. Er sei überzeugt, sagte Bush in einer schob absurd anmutenden Pressekonferenz mitten in der Prärie, „daß die Konservativen, die Ross Perot unterstützt haben, für mich stimmen werden. Wir teilen dieselben Werte.“ Inzwischen gilt als wahrscheinlich, daß Bush demnächst Außenminister Baker wieder an die Spitze seines Wahlkampfteams setzen wird. Der hat ihm schon 1988 den Sieg gebracht.

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