Auch aus einem Politologen kann etwas werden

■ Der Generalbevollmächtigte von Daimler-Benz, Matthias Kleinert, jettet mehrmals wöchentlich zwischen Baden-Württemberg und Berlin hin und her/ Eine untypische Karriere: Redakteur, Cleverles Vertrauter, Konzernmanager

Als Berliner will er sich auf alle Fälle verstanden wissen, der Generalbevollmächtigte für Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftspolitik von Mercedes-Benz, trotz seines leichten, aber nicht zu überhörenden schwäbischen Akzents. Der lebhafte, nicht übermäßig hoch gewachsene Matthias Kleinert wurde tatsächlich 1938 an der Spree geboren. Mit zarten sieben Jahren zog er jedoch samt Familie ins württembergische Bietigheim. Heute jettet er regelmäßig nach Berlin, als Vertreter des mit 380.000 Mitarbeitern größten Konzerns Deutschlands, der demnächst seinen Firmensitz an den Potsdamer Platz verlegen wird. Demzufolge besteht Kleinert auch darauf, just dort auf der Motorhaube eines der Konzern-Schlachtschiffe zu posieren, unter den wachsam-mißtrauischen Augen einer Begleitperson, deren Funktion zwischen Bodyguard, Chauffeur und Pressebetreuer oszilliert. Mercedes, betont Kleinert als nächstes, sei eigentlich auch eine Berliner Firma, immerhin besteht das Werk in Marienfelde seit 1903.

Das Städtchen Bietigheim verließ Kleinert schon 1958 wieder, als er Politikwissenschaft an der Freien Universität in Berlin studierte, eigentlich eine brotlose Kunst. Nicht aber bei Kleinert: »Meinen Kommilitonen diene ich immer als leuchtendes Beispiel, daß auch aus einem Politologen etwas werden kann«, meint er stolz. Denn der heute 53jährige hat eine wechselvolle Karriere hinter sich: 1963, nach dem Abschluß als Diplompolitologe, wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter beim gesamtdeutschen Institut in Berlin, von 1969 bis 1972 war er Rundfunkredakteur beim RIAS. »Ich bin eigentlich ein Kollege von Ihnen«, meint er dazu. In jener Zeit habe sich die »Abneigung des CDU- Mitgliedes gegen alles Linke einschließlich des ideologischen Tiefsinns« vertieft, schrieb einst die Stuttgarter Zeitung.

Kleinert schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als ihm das vorgehalten wird. »Um Gottes willen, dieser Satz wird mich bis ins Grab verfolgen, dabei habe ich das nie gesagt«, stöhnt er. Im Gegenteil, der Sozialistische Hochschulbund habe ihn einst als Studentenvertreter mitgewählt, das sei doch der Beweis, daß er kein Rechtsaußen gewesen sein könne. »Wichtig ist, daß alle miteinander ins Gespräch kommen, egal ob rechts oder links«, formuliert er nun flink sein neues Lebensmotto.

Für Gesprächsstoff in der Stadt sorgt der leutselige Kleinert seit über einem Jahr wieder. Denn er wacht über das riesige Bauprojekt am Potsdamer Platz, und da gesellt sich ein Konflikt mit dem Senat zum nächsten. Zunächst sorgte sich Kleinert, der städtebauliche Entwurf für den Potsdamer Platz, wo in fünf Jahren die Daimler-Zentrale hochragen soll, sei zu »posemuckelig«. So wolle man das nicht bauen, erklärte er öffentlich. Passenderweise hatte der Konzern parallel zum Senatswettbewerb einen eigenen Architekten beauftragt. Dann gab es Streit um die Stellplätze, und schließlich mußte der Grundstückspreis von der zuständigen EG-Kommission nach oben korrigiert werden.

Für effektvolle Auftritte war Kleinert, der wie alle kleinen Männer ehrgeizig ist, auch schon in Baden- Württemberg bekannt. Seit 1972 war er Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion und ihres Fraktionsvorsitzenden Lothar »Cleverle« Späth, der heute in den neuen Ländern sein Unwesen treibt. Kleinert und Späth hätten, so heißt es in der Stuttgarter Zeitung, »ein Männer-Duo von seltener Herzlichkeit und politischer Schlagkraft« gebildet. »Kleinert redet schneller, als Späth denkt«, sagten andere. Als Späth 1978 Ministerpräsident im Ländle wurde, avancierte Kleinert zu seinem Ministerialdirigenten und war zuständig für die Abteilung Grundsatz, Planung und Information. Gleichzeitig wurde er Sprecher der Landesregierung und verkaufte der Presse den Landesvater als »Ministerpräsident zum Anfassen«. Nach den Landtagswahlen 1984, bei denen Späth wiedergewählt wurde, wurde Kleinert gar Staatssekretär.

Danach begann der politische Niedergang des Politologen, der im Ländle keinen Wahlkreis bekam. Bald darauf fing die Beziehung zwischen Kleinert und Späth an, mehr oder weniger öffentlich zu kriseln. Dennoch wurden die Baden-Württemberger ein Jahr später, kurz vor der nächsten Landtagswahl und mitten im Wahlkampf, von der Nachricht überrascht, daß Kleinert als Generalbevollmächtigter bei Daimler- Benz einsteigen würde.

Kleinert gehörte bald mit Leib und Seele der Firma. Der Konzern, dessen Vorstandsvorsitzender Edzard Reuter als heimlicher Bürgermeister der Stadt gilt, erwarb noch zu rot- grünen Zeiten das Grundstück am Postdamer Platz. Seitdem jettet der agile Manager — oft mehrmals pro Woche — zwischen dem württembergischen Möhringen und Berlin hin und her, wo er im Hotel wohnt. Dabei engagiert er sich nicht nur für Firmenbelange. Das CDU-Mitglied — das allerdings nach wie vor im Landesverband Baden-Württemberg ist — tritt schon mal bei Parteiveranstaltungen auf, wo er in der Regel mehr Beifall einheimst als der Regierende Bürgermeister.

Ob er viel zu tun habe? Kleinert stöhnt auf. Ja, ein 15-Stunden-Tag sei die Regel. Aber trotz seiner Arbeit hat er noch für andere politische und soziale Aktivitäten Zeit. So ist er im Aufsichtsrat der Berliner Olympia Marketing GmbH — der Mercedes-Konzern ist der Hauptsponsor für Olympia — und im Kuratorium der Komischen Oper. Und die Familie, wo die bleibe? Nein, darüber solle man nicht schreiben, winkt Kleinert etwas verlegen ab, das interessiere außerdem sowieso keinen. »Zu wenig Zeit dafür habe ich schon«, gesteht er schließlich ein. Eva Schweitzer