Warum ist der Engel blau?

■ Farbe als Stimmung. Zum Beginn der Reihe »24mal Blau in der Sekunde« im Kino Arsenal

Blue monday: Tagträumen, Blaumachen, blau sein oder sich blue movies, pardon: blaue Filme reinziehen. Im Arsenal ist heute all dies möglich. Dort beginnt um 20 Uhr die Sommerreihe »24mal Blau in der Sekunde«. Bis Ende August werden Filme gezeigt, in denen die Farbe Blau eine wichtige Rolle spielt. Die Reihe geht längs durch die Filmgeschichte und quer durch die Genres. »Das Schöne an Blau ist, daß es in verschiedenen Kontexten sehr unterschiedliche Stimmungen ausdrücken kann, während andere Farben viel mehr festgelegt sind«, schwärmt Eckhard Holzmann, der Organisator dieser Reihe von den Freunden der Deutschen Kinemathek.

Ein schönes Beispiel für die Verwendung von Blau bei viragierten Filmen ist die rekonstruierte Fassung des Eröffnungsfilms »L'inhumaine« (1923/24) von Marcel Herbier. Bei der Virage-Technik werden einzelne Szenen des entwickelten Films nachträglich in einen Farbtopf getaucht. Seit Beginn der Filmgeschichte war kaum ein Film wirklich schwarzweiß, sondern Bild für Bild koloriert oder Szene für Szene viragiert. So entwickelte sich schon im Stummfilm eine einfache Farbsymbolik. Beim Umkopieren ging die Farbe allerdings verloren; erst seit wenigen Jahren ist es möglich, die Filmklassiker in ihren Originalfarben zu rekonstruieren. In der viragierten Fassung von »L'inhumaine« etwa sind nicht nur die Nachtszenen blau, sondern auch Träume, Visionen, Erinnerungen und Todesszenen.

Blau ist nicht nur eine Farbe, die Kälte und Schrecken ausdrückt wie in den französischen Kriminalfilmen und im Horrorfilm. In den naturalistischen Filmen wecken das blaue Meer, die blauen Berge und der blaue Himmel Sehnsucht nach Ferne und Unendlichkeit. Gelegentlich soll Blau sogar eine sexuelle Wirkung entfalten. In David Lynchs »Blue Velvet« wird der blaue Samtvorhang zum erotischen Signal, die sogenannten blue movies, also Pornofilme, tragen das Blau zumindest im Titel. Zu sehen sein wird im Arsenal allerdings nur eine Travestie des Genres: Andy Warhols »Blue Movie«. Dafür beschäftigt sich ein Diavortrag des Kunsthistorikers Dietmar Schuth mit der erotischen Bedeutung von Blau in der Kunst und Kulturgeschichte. Er hat sich vorgenommen, am 1. August im Arsenal die drängende Frage »Warum ist der Engel blau?« ein für allemal »blausibel« zu beantworten.

Allen Blau-Fans empfiehlt Organisator Eckhard Holzmann natürlich »L'inhumaine«, aber auch den mittels Computertechnik farbverfremdeten »Einer mit Herz« von Coppola, den fast ganz in Blau gehaltenen französischen Kriminalfilm »Le Cercle Rouge« von Melville und den ebenso blau dominierten japanischen Film »Kikuchi«, in dem Blau die triste Arbeits- und Alltagswelt des Protagonisten ausdrückt. In Godards »Pierrot Le Fou«, malt sich Belmondo vorm Selbstmord das Gesicht blau an.

Heute, am Eröffnungsabend, werden insgesamt vier Filme gezeigt: Auf »L'Inhumaine« mit Klavierbegleitung von Alexander von Schlippenbach folgen »Eaux d'artifice« (USA 1953) von Kenneth Anger, »Die Betörung der blauen Matrosen« (BRD 1975) von Ulrike Ottinger und »On Ludlow in blau« (BRD 1987) von Christoph Janetzko. Wem danach das Blau noch immer nicht ins Blut übergegangen ist, der kann sich mit gleichfarbigen Getränken im Foyer in die gewünschte Stimmung versetzen. Regina Paschke

Vom 20. Juli bis 31. August im Arsenal, Welserstr. 25, Schöneberg. Nähere Informationen siehe Programmteil. Walter Seidler von der Stiftung Deutsche Kinemathek gibt am 28. Juli eine Einführung in das Thema viragierter Stummfilm und dessen Rekonstruktion.