»Wir bleiben gläsern und durchschaubar«

■ In Marzahn und Hohenschönhausen wurden die ersten bezirklichen »Komitees für Gerechtigkeit« gegründet/ Nur sehr mäßiges Interesse

Marzahn/Hohenschönhausen. »Wirf einen Stein ins Wasser, und die Wellen werden sich ausbreiten.« So beschrieb Wolfram Tornow, einer der Mitbegründer des am Samstag in Marzahn entstandenen »Komitees für Gerechtigkeit«, den zaghaften Beginn. Er war keinesfalls enttäuscht, daß von den 170.000 Marzahnern nur 60 dem Gründungsaufruf gefolgt waren. Darüber hinaus hätten 40 EinwohnerInnen, die verhindert waren, telefonisch ihr Interesse bekundet.

Weniger Interesse zeigte ein 45jähriger Marzahner, der direkt vor dem Club auf dem Markt Spielzeug verkaufte: »Sicher muß etwas passieren. Aber ohne die Inhalte zu kennen, renne ich da nicht hin. Ich muß erst zu mir selber finden. Aber aufgegeben habe ich mich nicht.« Das hatten auch die im »Club der Mittzwanziger« Versammelten nicht. Eine Rentnerin aus Weißensee: »Wir sind doch wer.« Die Schauspielerin Käthe Reichelt — »Ich sitze hier aus Scham, Arbeit zu haben« — forderte, daß »unsere Angst auf die Angstmacher zurückfallen« solle. Ein Sozialwissenschaftler aus Hellersdorf, der als sympathisierender Beobachter gekommen war, um »Dummheiten, die hier eventuell passieren könnten, in Hellersdorf zu vermeiden« —, wehrte sich dagegen, daß »andere besser wissen, was gut für uns ist«. Ein Lehrer, der in Marzahn lebenden VietnamesInnen Deutschunterricht gibt, forderte »Gerechtigkeit für alle, auch für Ausländer«.

Einig waren sich die Versammelten darin, daß sich »nur etwas bewegt, wenn wir es bewegen«. Tornow wies zum Schluß ausdrücklich darauf hin, daß »wir gläsern, durchschaubar und für jedermann offen bleiben. Wir sind keine Untergrundpartei«. Beim nächsten Treffen am 8.August soll es mit einem Programm konkreter werden. Bis dahin wird ein Aufruf verfaßt, der alle MarzahnerInnen erreichen soll.

Auch in Hohenschönhausen wurde am Samstag zur Gründung eines »Komitees für Gerechtigkeit« aufgerufen, das Interesse der Bürger war jedoch noch weitaus geringer: Nur vier Frauen und neun Männer waren gekommen. Sie gaben sich dennoch zuversichtlich: »Das soll sich zu einem Kommen und Gehen entwickeln. Wichtig ist, daß wir die Leute erreichen und daß sie wissen, daß sie sich beteiligen können«, sagte eine Frau. Die Gründung des Komitees wurde letztendlich vertagt, statt dessen eine »Initiativgruppe zur Gründung eines Komitees für Gerechtigkeit« gebildet. Probleme, die auf den Nägeln brennen«, standen noch nicht zur Debatte; über die Aufgaben des Komitees wollten sie sich verständigen. Ein Grundkonsens kristallisierte sich bald heraus: Von den Volksvertretern fühlten sich alle mißachtet. »Die Abgeordneten müssen wir belegen«, sagte eine Frau, »daß ihnen abends die Köpfe rauschen.« Ein Steuerberater erläuterte: »Es muß uns um die parteiübergreifende Zusammenarbeit mit an Sachfragen orientierten Politikern gehen.« Unklar blieben neben der Organisationsstruktur die Finanzierung und die Öffentlichkeitsarbeit: Man konnte sich nicht einigen, ob die Hohenschönhauser über das Lokalblatt oder ein eigenes Infoblatt informiert werden. wahn/rak