Neuhardenberg hofft auf das große Geld

■ Wie einer der Mitverschwörer des 20. Juli in eine kleine Gemeinde der Mark Brandenburg zurückkehrte/ Eine Ausstellung voller Pathos im Familienschloß/ Aus Marxwalde wurde wieder Neuhardenberg

Neuhardenberg (taz) — „Wir haben auf dem Gebiet unserer Republik die Junker und Großgrundbesitzer von dannen gejagt und wollen weder sie noch ihre Asche wiederhaben“, schrieb Marxwaldes Bürgermeister Linse an Renate Gräfin von Hardenberg. Sie hatte sich mit der Bitte an ihn gewandt, die Urne mit der Asche ihres Mannes Carl-Hans neben dem ehemaligen Familienschloß beisetzen zu dürfen. Das war 1958. 33 Jahre später kommt mit Glockengeläut und Posaunenklängen nicht nur die Asche des Grafen aus dem Taunus in die Mark Brandenburg — auch der Familienname steht jetzt wieder auf dem gelben Schild am Ortseingang. Und daneben prangt das Familienwappen: ein Wildschweinkopf mit riesigen Hauern.

Der Name Hardenberg ist nicht nur Schnapsfreunden ein Begriff, sondern auch auch Historikern. Denn auf dem von Schinkel erbauten Schloß trafen sich gelegentlich die Verschwörer des 20. Juli, die nach langen Vorbereitungen für die eigene Machtübernahme den Entschluß faßten, Hitler in die Luft zu sprengen. In dem weitläufigen Lennépark wandelte der Hausherr mehrfach mit Graf Stauffenberg, der schließlich im Sommer 1944 bei einer Besprechung mit Hitler die Bombe zündete.

Das Attentat mißlang. Die unmittelbar beteiligten Verschwörer wurden sofort vom Volksgerichtshof verurteilt und in Plötzensee hingerichtet. Hardenberg selbst war bei dem Anschlag nicht dabei. Wenige Tage später nahm die Gestapo auch ihn fest. Er wurde ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Das Schloß wurde enteignet, die Familie vertrieben.

„Die Kinder des Grafen stehen mit der Treuhand in Frankfurt an der Oder in Verbindung“, weiß Museumsführerin Martina Müller, die hier nur noch ein paar Wochen ihr Brot als ABM- Kraft verdienen kann. Weil die Restaurierung aber die Staatskasse der DDR mehrere Millionen und etliche Devisen gekostet hat, kann die Familie das Schinkel-Schloß nicht ohne weiteres übernehmen. „Die haben nicht genug Geld“, sagt die zurückhaltende Frau mit dem Anflug eines Lächelns. Was aus dem Schloß wird, weiß im Dorf niemand; erst aus der Zeitung habe sie erfahren, daß über die Nutzung durch die Europa-Uni in Frankfurt an der Oder verhandelt werde. Martina Müller fühlt sich übergangen, aber sie wagt nicht, empört zu sein. „Wir hoffen, daß die Familie unsere Bemühungen beachtet.“ Schließlich habe die Ausstellung erst vielen Leuten die Bedeutung des Widerstandskämpfers und Stauffenberg- Freundes vermittelt.

Bei jeder Führung weist sie die Touristen, die mit Filzpantoffeln durch die schlichten, fast bürgerlich anmutenden Wohnräume schlurfen, darauf hin, daß der Graf beim Eintreffen der Gestapo einen Suizidversuch machte. Aber er habe seine Frau schonen wollen und sich deshalb nicht in den Kopf geschossen; er traf nur die Lunge. Und Martina Müller weist die Besucher auf den etwas abseits liegenden Gedenkraum hin. In dem kleinen Zimmer liegt die Totenmaske von Carl-Hans Graf von Hardenberg, daneben hängen Fotos seiner adeligen Mitstreiter — alles Männer, alle in Uniform. „Sie starben, damit Du leben solltest“ steht auf schwarz gerändertem Papier. Sie opferten sich „für die gute Tradition der deutschen Geschichte“, sie waren bereit, „sich die Hände zu reichen im Dienst an Volk und Vaterland“. Sie kämpften für demokratische Rechte, für die Hebung des Lebensstandards aller Werktätigen, für die Einschränkung der Grundbesitzer, für gutnachbarliche Beziehungen gerade zur Sowjetunion — sie waren Helden — fast messianisch. Sie waren gut, gut, gut, sie waren ehrenvolle, deutsche Männer. Quellenangaben sind spärlich. Das interessiert aber eine Besucherin nicht, die ganz ergriffen den Raum verläßt: „Das finde ich richtig, daß hier mal endlich klar wird, daß es zur Nazizeit auch ehrenvolle Deutsche gab.“

Der Wirt in der Kneipe gegenüber hatte sich allerdings mehr von der Ausstellung erhofft. „Bisher sind noch nicht viele Touristen hierhergekommen.“ Und auch die Umbenennung des Ortes hat noch nicht den gewünschten Effekt gehabt. Kurz nach der Wende hatte der Rat der Gemeinde beschlossen, die Entscheidung vom 1.Mai 1949 rückgängig zu machen: aus Marxwalde wurde wieder Neuhardenberg. „Bei einem Namen mit Marx würde hier kein Mensch investieren. Das dachte zumindest die CDU“, meint ein junger Mann mit bunt bekleckstem T-Shirt und löchriger Jeans, der einem Freund bei der Reparatur seines Motorrads zuschaut. Er hätte es besser gefunden, wenn der Ort seinen allerersten Namen wiederbekommen hätte, den er vor dem Zuzug der Hardenbergs bis 1814 trug: Quiliz. „Von der Umbenennung haben wir erst aus der Zeitung erfahren, uns hat keiner gefragt“, sagt eine Frau im roten Hauskittel, die sich auf einer Bank vor einem Plattenbau sonnt. Aber so sei das eben; man müsse das hinnehmen. „Daß man dafür als erstes Geld ausgegeben hat, ist nicht richtig“, findet der Mann neben ihr mit fast zusammengekniffenen Lippen.

Auch die Hoffnungen, die Grafenfamilie werde in ihr altes Heimatdorf investieren, haben sich bisher als Illusion erwiesen. „Die sind halt die arme Linie — nicht die mit der Schnapsbrauerei“, bedauert Martina Müllers Kollegin, die den Touristen die Kirche neben dem Schloß zeigt. Nur eine kleine Glaskuppel haben sie bisher gestiftet, die hinter einer Tür im Altar untergebracht ist und die neugierige Blicke der Besucher auf sich zieht: darunter liegt das vertrocknete Herz ihres Ahnen, der das Schloß erbauen ließ. „Das muß echt sein, sonst hätten die Grafen das Ding nicht bezahlt, meint die Touristenführerin. Annette Jensen