Die verordnete Geschichte des Widerstands

■ Zum 20. Juli: Zweimal deutscher Widerstand/ Hitler-Attentat und Nationalkomitee Freies Deutschland im Dienste von West- und Ostdeutschland

Die Geschichte der Rezeption des Widerstands gegen das NS-Regime in den beiden deutschen Staaten ist eine Geschichte der Konkurrenz. Die Konfrontation zwischen BRD und DDR, zwischen West und Ost, fand in der Geschichtsforschung ihre getreuliche Fortsetzung. Die Thematisierung des Widerstands gegen die Nazis — das war zugleich Legitimation des eigenen Staates und Abgrenzung vom anderen Staat. So wie das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 jahrzehntelang in der DDR keine Würdigung fand, so blendete die westdeutsche Gesellschaft den Kampf der Kommunisten gegen die Nazis aus. Heute, nach der Vereinigung, wird nicht nur im Westen, sondern auch im Osten der Frauen und Männer des 20. Juli gedacht. Wird dabei der Antifaschismus der DDR abgewickelt? Hat Stauffenberg gegen das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) gewonnen, so wie Deutschland-West Deutschland-Ost übernommen hat?

Widerstand und SED-Herrschaft in einem Topf

„Die Widerstand-Darstellung war in Ost und West von politischen Vorbedingungen geprägt, im Osten vielleicht noch stärker“, meint Prof. Kurt Finker aus Potsdam. Er sieht heute im Osten eine gefährliche Tendenz, den Widerstand gegen die Nazis mit der späteren Herrschaft der SED in einen Topf zu werfen. „Die Legitimität der DDR-Staatsführung ergab sich auch aus ihrer Teilnahme am Widerstand“, meint der Autor der ersten, 1967 in der DDR erschienenen Stauffenberg-Biographie. „Was ich verurteile, ist, daß man in der Rezeption des Widerstands alle anderen Kreise außer den Kommunisten zurückgedrängt hatte. Aber jetzt schlägt das Pendel zurück.“ Straßennamen von antifaschistischen Widerstandskämpfern werden umbenannt, weil die Träger auch Kommunisten waren. Gedenktafeln von Ermordeten verschwinden über Nacht, weil die Toten nachträglich für die Taten der SED verantwortlich gemacht werden. „Es hängt mit dem Mißbrauch des Begriffs Antifaschismus in der DDR zusammen“, so Finker. „Antifaschismus wird mit Kommunismus gleichgesetzt. Die Kommunisten sind schuld, also müssen sie weg.“

Zumindest das ist kein aus dem Westen importiertes Problem. Es sind die ehemaligen DDR-Bürger selbst, die so gegen den jahrzehntelang verordneten Antifaschismus protestieren. Prof. Peter Steinbach von der Freien Universität Berlin diagnostiziert in der Ex-DDR ein starkes Desinteresse an der Geschichte vor 1945.

Nach dem Krieg, so Steinberg, suchten West- wie Ostdeutschland den Widerstand gegen die Nazis für ihre Zwecke einzuspannen. Der 20. Juli war dankbares Objekt für den Westen. Er repräsentierte nicht nur den „bürgerlichen“ Widerstand. Er konnte auch der Bundeswehr Legitimation verleihen, und er gab der Bundesrepublik die Chance, in den Kreis der „geachteten Nationen“ zurückzukehren. Das Attentat auf Hitler wurde gar auf die Verhältnisse in der DDR umgemünzt — als Bild einer Widerstandshaltung, wie sie auch der 17. Juni 1953 darstelle. Die Würdigung der Kämpfer des 20. Juli mußte anfangs noch gegen starke Ressentiments durchgesetzt werden, nach denen die Attentäter Verräter am deutschen Volk gewesen sein sollten. Kommunisten kamen in der westdeutschen Geschichtsschreibung der 50er Jahre nicht nur nicht vor, ihren Widerstand gab es gar nicht: Im Bundesentschädigungsgesetz wurden sie („wer die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft“) von jedweder Wiedergutmachung ausgeschlossen.

In der DDR wiederum spielte der 20. Juli keine Rolle. Dem Attentat auf Hitler wurde eine Zuordnung zum antifaschistischen Widerstand abgesprochen. Er galt lediglich als eine Strategie des Imperialismus, der auch ohne Hitler überleben wollte. Die Historiker verstanden Antifaschismus als einen Teil des internationalen Klassenkampfs der Arbeiterbewegung. Der 20. Juli hatte da nichts zu suchen. Die Kommunisten, das räumen heute DDR-Historiker wie Prof. Kurt Pätzold von der Ostberliner Humboldt-Universität heute ein, wurden über Gebühr aufgewertet, „ein Teil der Gesamtproblematik aber ganz ausgespart“. Eine besondere Stellung in der Forschung nahm dabei der Kampf von Soldaten und Offizieren gegen die Nazis im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ ein. Platz war ansonsten nur noch für linke Sozialdemokraten. „Der antifaschistische Widerstandskampf war seinem Wesen nach Klassenkampf zwischen der Arbeiterklasse sowie anderen Werktätigen und dem Monopolkapital“, hieß es noch 1974. Antifaschistisch- demokratisch war die Ordnung, bis sie sich 1949 zur „Volksdemokratie“ wandelte. Antifaschistisch war auch der Schutzwall, der die DDR ummauerte. Der per Definition antifaschistische Staat schuf sich mit antifaschistischen Ritualen eine Legitimationsbasis. „Das hing den Leuten zu Recht zum Halse raus“, so Finker.

Ost-West-Annährung in der Geschichtsschreibung

Eine Annäherung der Widerstandsforschung zwischen Ost und West begann freilich schon weit vor der Vereinigung beider deutscher Staaten. In den 80er Jahren begann in der DDR eine differenziertere Bewertung der bürgerlichen Nazi-Gegner und damit auch des 20. Juli. Zum 40. Jahrestag, 1984, wurde der Anschlag auf Hitler auch in der DDR breit gewürdigt. Die Öffnung der Geschichtswissenschaft im Westen, die Beschäftigung auch mit dem kommunistischen Widerstand, fand im Osten ihren Widerpart in der Rezeption des „bürgerlichen“ Kampfs gegen die Nazis. Das in jenen Tagen gesuchte „breite Bündnis“ gegen die Nachrüstung im Westen unter dem Dach der DKP mag bei der Neubewertung eine Rolle gespielt haben, vermutet Steinbach. Für Kurt Pätzold war es „eine Art Vorahnung, daß die Enge der Diskussion im Widerspruch zur Vielfalt geistiger Äußerungen im eigenen Staat stand“, die zur Verbreiterung des Widerstandsbildes in der DDR führte. Nach wie vor stand freilich „Arbeiterklasse und revolutionäre Arbeiterpartei im Mittelpunkt“ (Finker in einem Vortrag im Jahre 1986).

Die Unversöhnlichkeit der Geschichtsschreibung war und ist auch eine Unversöhnlichkeit der Widerstandskämpfer. Vor drei Jahren, im Sommer 1989, kam es in West-Berlin bei der Eröffnung der Ausstellung „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ zum Eklat. Der Bruder des am Attentat auf Hitler beteiligten Majors Roland von Hößlin verlas eine Protesterklärung, in der er gegen die Aufnahme von Exponaten zum „Nationalkomitee Freies Deutschland“ an der Seite des 20.Juli protestierte und mit der Rücknahme von Ausstellungsstücken drohte. Das Wirken des NKFD, ihre Aufrufe zur Fahnenflucht und die Aufforderung zum Rückzug von der Front, verstünde er als Landesverrat, so Hößlin.

Gegen eine sprachliche Reinigung

Die Exponate zum NKFD sind noch heute ausgestellt. Drei Jahre und eine Vereinigung später warnt Prof. Steinbach im Gespräch mit der taz davor, daß heute „der Widerstand zum dritten Mal plattgemacht wird“. Steinbach hält überhaupt nichts davon, den Begriff Antifaschismus aufzugeben. „Daß es ein Kampfbegriff war, kann ihn nicht diskreditieren. Ich warne vor einer sprachlichen Reinigung.“ Wenn heute in den fünf neuen Ländern darüber diskutiert werde, ob man eine Schule weiter nach der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ benennen dürfe, seien das schlimme Zeichen. Der Widerstand dürfe nicht verengt betrachtet werden. „Auch Honecker gehörte unbestreitbar dazu.“

Für Pätzold hat sich die „Antifaschismus-Forschung im Zusammenhang mit dem Kapitalismus überhaupt nicht erledigt“. Doch im größeren Deutschland scheine sich zu bestätigen, daß der Pluralismus nur bis Marx reicht. „Ich befürchte allerdings, daß diese Forscher für eine bestimmte Zeit nur wenig Chancen haben“, sagt Pätzold, der eingesteht, sich zu DDR-Zeiten den politischen Vorgaben gebeugt zu haben. Pätzold droht die Relegation. Er soll dazu beigetragen haben, daß Studenten u.a. wegen ihres Eintritts gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns von der Universität geworfen wurden. „Bestimmte Formen der Geschichtsschreibung haben keine Chance mehr“, so Finker. „Was sich als falsch herausgestellt hat, muß weg.“

Früher gab es Mitte September auf dem Ostberliner Bebel-Platz eine Großdemonstration zu Ehren des antifaschistischen Widerstands — „vollständig ritualisiert“, wie Pätzold heute zugesteht. Heute wird Wolfgang Schäuble auf der zentralen Veranstaltung zum 20. Juli 1944 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand eine Rede halten. Das Ritual widerholt sich auch dort seit Jahrzehnten. Helmut Kohl heute: „Im Widerstand gegen Hitlers Terrorregime und im patriotischen Opfer Graf Stauffenbergs und seiner Mitverschwörer kamen die besten, die freiheitlichen Traditionen der deutschen Geschichte zum Ausdruck.“ Die Tat der Widerstandskämpfer sei eine Voraussetzung für die Rehabilitierung des deutschen Namens in der Welt und für die Rückkehr der Bundesrepublik in die Gemeinschaft der Völker. Pätzold macht den Unterschied zur DDR deutlich: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand daran teilnimmt, um seinem Chef zu gefallen.“

Heute, da sind die West- und Ost- Historiker einig, geht es darum, den Leuten die Geschichte überhaupt nahezubringen. „Vielleicht“, so Pätzold, „bekommen wir eines Tages neue Gedenktafeln. Bessere als die alten mit ihren aussagearmen Texten.“ Klaus Hillenbrand