Streit um Tempelbau lähmt Indiens Parlament

Im indischen Staat Uttar Pradesh trifft die dort regierende Hindu-Partei BJP seit einem Jahr systematisch Vorbereitungen zum Abriß einer Moschee/ Wiederaufleben der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Hindus befürchtet  ■ Aus Neu Delhi B. Imhasly

Die Monsun-Sitzungsperiode des indischen Parlaments hat stürmisch begonnen. Verantwortlich dafür war nicht, wie allgemein erwartet, der Börsenskandal in Bombay, den die Opposition der Liberalisierungspolitik der Regierung in die Schuhe schieben will. Ins Zentrum des Sturms geriet vielmehr die größte Oppositionspartei selber, die Bharatiya Janata Party (BJP). Ihr wird vorgeworfen, die Regierungsgewalt in Indiens größtem Bundesstaat Uttar Pradesh auszunützen, um im Disput um eine religiöse Stätte in der Tempelstadt Ayodhya vollendete Tatsachen zu schaffen — in flagranter Mißachtung gerichtlicher Verbote.

Zehntausende ihrer Anhänger, behauptet die mit der BJP kooperierende militante Hindu-Gruppierung VHP, sind seit dem 9.Juli dabei, einen Tempel für die Hindu-Gottheit Ram unmittelbar neben einer alten Moschee zu errichten. Am Mittwoch verhängte ein Gericht einen sofortigen Baustopp, doch täglich treffen weiterhin Freiwillige an der Baustelle ein. Sie behaupten, daß die im 16.Jahrhundert erbaute Barbar- Moschee auf den Ruinen eines Tempels steht, die den Geburtsort des Gottes Ram markieren.

Dieser Ort wurde 1989 zum Brennpunkt einer hinduistischen Erneuerungswelle, die im ganzen Land blutige Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems auslöste. Hunderte von Menschen kamen dabei ums Leben. Seit dem Amtsantritt des indischen Ministerpräsidenten Narashima Rao vor gut einem Jahr hatte sich die Lage beruhigt. Es zeigt sich nun aber, daß die hinduistische BJP-Partei ihren Wahlsieg in Uttar Pradesh vor einem Jahr benutzt hat, um hinter einer konzilianten Fassade auf Landesebene ihrem Ziel in Ayodhya — der Umwandlung der Moschee in einen Tempel — näher zu kommen.

Die jüngsten Ereignisse in Ayodhya, so befürchten viele Parlamentarier, könnte die zerbrechliche Koexistenz zwischen Hindus und Moslems wieder zerstören. Vertreter der Linksopposition wie der Kongreßpartei verlangen deshalb von der Regierung, daß sie die BJP-Regierung in Uttar Pradesh absetzt, oder zumindest die umstrittenen Tempelanlagen unter ihre direkte Kontrolle bringt.

Was die Abgeordneten in Delhi besonders aufbringt, ist die hinterlistige Art, mit welcher die BJP versucht, unter Umgehung von Gerichtsbeschlüssen zu ihrem Ziel zu kommen. Diese verbieten, bis zu einem endgültigen Verdikt des Obersten Gerichtes, jede Tätigkeit im Umkreis von Moschee beziehungsweise Tempel. Ohne die eigentliche Moschee jedoch zu berühren — diese ist hinter Stacheldrahtzäunen ohnehin bereits in den Händen von Hindupriestern, die in den zerfallenen Mauern seit Jahrzehnten eine Ram- Gedenkstätte unterhalten — hatte die Regierung seit ihrem Wahlsieg vor einem Jahr begonnen, systematisch die umliegenden Gebäude zu akquirieren.

Als Käuferin trat die Tourismus- Behörde auf, die oft massivem Druck auf die Besitzer ausübte. Offiziell ging es darum, den Pilgern einen Zugang bis zum abgesperrten Tempelbezirk zu erlauben. Statt dessen begannen aber private Organisationen — militante hinduistische Gruppierungen wie die Vishwa Hindu Parishad (VHP) und Bajrang Dal — bestehende Gebäude zu schleifen. Auch kleine hinduistische Tempel fielen, ungeachtet ihrer religiösen Funktion und des archäologischen Wertes, diesem hastigen Abbruch zum Opfer.

Offiziell wurden diese radikalen Planierungsarbeiten als „Renovierung“ deklariert. Doch auch dies widersprach klar den Weisungen des Obersten Gerichtes, das jede bauliche Änderung im gesamten Areal verboten hatte.

Vorletzte Woche, just zu Beginn der Parlamentsperiode, ließ die VHP nun die Katze aus dem Sack: in einer feierlichen Zeremonie wurde damit begonnen, in die ausgehobenen Gräben Beton zu gießen. Gleichzeitig enthüllte VHP-Generalsekretär Ashok Singhal Pläne, die erwiesen, daß im akquirierten Gelände der Bau eines Tempelvorhofes und einer Säulenhalle vorgesehen ist. Damit würden die radikalen Hindus Fakten schaffen, die sie ihrem endgültigen Ziel bedeutend näher bringen würde — dem Bau des „Allerheiligsten“ auf den Ruinen der angrenzenden Babri- Moschee.

Der Entrüstungssturm, der sich darauf wie ein Monsun-Gewitter über das Parlament entlud und es seit vierzehn Tagen lahmlegt, galt in erster Linie der BJP. Während diese sich in Delhi als verantwortungsbewußter Leader of the Opposition zu profilieren suchte, verfolge sie über Landesregierungen und Frontorganisationen ihr eigentliches Ziel: die Konsolidierung der hinduistischen Wählerbasis aufgrund eines Appells an religiös gefärbte Angstreflexe.

Aber auch auf die Regierung wächst der Druck. Premierminister Rao hat bisher mit Erfolg versucht, den Konflikt zu entschärfen, indem er die wirtschaftliche Gesundung des Landes zur ersten Priorität seiner politischen Agenda gemacht hat und jeder religionspolitischen Konfrontation aus dem Weg ging. Ihm wird nun vorgeworfen, die dadurch erreichte Beruhigung fälschlicherweise als Erfolg dieser Politik gebucht zu haben, während sie in Wahrheit von den hinduistischen Ultras zur klammheimlichen Herstellung vollendeter Tatsachen mißbraucht wurde. Selbst Mitglieder der Kongreß-Partei forderten Innenminister Chavan daher letzte Woche auf, dem Tempelbezirk von Ayodhya unter nationalen Denkmalschutz zu stellen, was ihn der Kontrolle Uttar Pradeshs entziehen würde.

Die Linksopposition ging weiter und verlangte die Absetzung der BJP-Regierung von Uttar Pradesh. Angesichts des bedächtigen Stils von Rao ist es nicht wahrscheinlich, daß er dieser Extremlösung folgen wird. Sie würde lediglich die BJP zum Märtyrer stempeln und dieser die Chance agitatorischer Profilierung bieten.

Aber auch in der Regierungspartei gibt es Stimmen, die davor warnen, sich von der BJP bis zur Preisgabe der säkularistischen Grundpfeiler der Partei erpressen zu lassen. Die Times of India erinnert an Rajiv Gandhi, der den Hindus 1986 Zutritt zur Barbar-Moschee gegeben hatte und damit die Eskalation zwischen Moslems und Hindus in Gang setzte, die 1989 und 1990 in landesweiten Blutfehden gipfelte — und ihn die Macht kostete.