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An der Grenze auf dem Abstellgleis

Über 2.000 bosnische Flüchtlinge saßen gestern noch 30 Kilometer westlich von Zagreb fest/ Die meisten Männer befürchten, wieder an die Front geschickt zu werden, da sie wehrtüchig sind  ■ Aus Zapresic Thomas Schmid

Niemand will sie haben, und so sitzen sie nun buchstäblich auf dem Abstellgleis. An die 2.000 bosnische Flüchtlinge, die letzten Donnerstag in der slawonischen Stadt Nasice (Ost- Kroatien) in den Zug verladen wurden, sitzen im Westen Kroatiens fest — in den Bahnhöfen von Zapresic und Savski Marof, 20 beziehungsweise 30 Kilometer von Zagreb entfernt. Die Regierung Kroatiens, die bereits 600.000 Flüchtlinge aufgenommen hat, davon die Hälfte aus Bosnien, hatte es schon Anfang letzter Woche angekündigt: Neu ins Land hereinströmende bosnische Flüchtlinge werden nicht mehr aufgenommen, sondern statt dessen in westliche Nachbarstaaten abgeschoben. Nachdem am Mittwoch ein kroatisches Flüchtlingslager beschossen wurde, machte die Regierung in Zagreb nun ernst. Etwa 3.500 Flüchtlinge wurden gen Westen verfrachtet. Doch ganz so einfach ist die Abschiebung nicht. Kroatien hat weder mit Italien noch mit Österreich gemeinsame Grenzen, und Slowenien hält seine Türen fest verschlossen.

Fast alle Flüchtlinge sind aus Modrica im Norden Bosniens, wo etwa ein Drittel Serben, ein Drittel Kroaten und ein Drittel Moslems leben. Am 8.Juli waren sie, kurz vor dem Eintreffen einer Übermacht serbischer Freischärler, in einem gemeinsamen Treck geflohen. Fünf Tage später erreichten sie bei Bosanski Brod die Grenze zu Kroatien und verbrachten dann fast eine Woche in kroatischen Flüchtlingslagern bei Slavonski Brod. Noch am Freitag hatten sich zunächst Italien und Österreich, schließlich auch Deutschland bereit erklärt, die Flüchtlinge aufzunehmen. Am Samstag früh fuhr denn auch der erste Zug mit etwa 800 Bosniern von Savski Marof Richtung Österreich. Weitere 800 Flüchtlinge blieben zunächst zurück. Sie fanden im Dorf, wo schon zahlreiche Flüchtlinge aus den serbisch besetzten Gebieten Kroatiens untergekommen sind, spontane Unterstützung. Etwa ein Dutzend Frauen richtete eine Verpflegungsstelle ein, wo Äpfel, Zigaretten, Tee, Kaffee und Säfte an die Flüchtlinge ausgeteilt werden, die bei 32 Grad Hitze im Schatten der Züge lagern. Die Wirtin des nahen Gasthauses stellte den Flüchtlingen, die ihre Verwandten in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Schweden benachrichtigen wollten, ihr Telefon zur Verfügung. Ein hier ansässiger deutscher Rentner, bis vor einem Jahr noch Polizist in Karlsruhe, errichtete am Rand der Gleise eine Dusche. Sonntag früh um vier Uhr durften schließlich auch sie weiterreisen — nach Italien. Schlechter sieht es in Zapresic aus. Dort tummeln sich am Bahnhof neben etwa zweitausend Flüchtlingen vor allem kroatische Polizisten und Militärs (Ob auch diese Flüchtlinge nach Italien weiterreisen können, war am Sonntag noch ungewiß, Anm. der Red.). Die Situation ist angespannt. Anders als in Savski Marof sind die Flüchtlinge hier vor allem Männer, also kriegstauglich. Offenbar wurden sie von ihren Familien getrennt. Allesamt befürchten deshalb, wieder an die Front zu müssen. Daß sie dem Krieg gerade entflohen sind, viele von ihnen in Uniform, gilt nicht als Gegenargument.

Dementsprechend sind die Männer aggressiv. Die Nacht zum Sonntag war bereits die dritte, die sie in den Zugwaggons verbrachten. Viele verstehen nicht, daß sie sich in Kroatien, das seit einem halben Jahr unabhängig ist, im Ausland befinden und entsprechend behandelt werden.

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