Telefon abhören - zu leicht gemacht

■ G10-Kommission: „Das formelle Drumherum haben wir damals locker gesehen“

Das Abhören eines Telefonanschlusses ist ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und verletzt damit das Grundrecht aus Artikel 10. Über das Grundrecht wacht die „G10“-Kommission des Parlaments, deren Vorsitz ein zum Richteramt befähigter Jurist haben muß: die „G10“-Kommission muß abwägen zwischen dem Interesse der Sicherheitsbehörden, die für den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuständig sind, und dem Grundrecht des betroffenen Bürgers.

Nachdem in Bremen das Verwaltungsgericht die Genehmigungspraxis für Telefon-Abhörmaßahmen in zwei Fällen für rechtswidrig erklärt hatte, weil die Anträge zum Eingriff in das Grundrecht nur „formelhaft“ seien und keine rechtsfähige schriftliche Begründung erkennen ließen (s.a. diese taz S.4), ist die Frage nach der Genehmigungspraxis der Abhörmaßnahmen überhaupt aufgetaucht.

Der Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission des Verfassungsschutzes, die die G10-Kommission einsetzt, der CDU-Politiker Kudella, hatte vor zwei Wochen jegliche Auskunft über die Zusammensetzung der Bremer G10-Kommission verweigert. Auch der Bürgerschaftsdirektor hatte der taz keine Auskunft gegeben. (vgl. taz 10.7.)

Die taz hat sich mit der Geheimniskrämerei nicht zufrieden gegeben. Der Vorsitzende der G10-Kommission selbst hat auf Nachfrage der taz die Haltung korrigiert und sich zu einem Interview bereiterklärt: Es ist der Bremerhavener Anwalt Hans- Georg Barwech.

taz: Ist dieses das erste Urteil eines Verwaltungsgerichtes über die Entscheidungspraxis einer G10-Kommission?

Hans-Georg Barwech: Ich kann mich nicht erinnern, daß mir von irgend einem Gerichtsverfahren vorher berichtet wurde. Das scheint das erste Mal gewesen zu sein. Es ist so, daß diese Kommission in der Vergangenheit still vor sich hin gearbeitet hat. Das politische Umfeld hat sich aber seit dem Sturz der DDR ganz erheblich geändert, deswegen gucken die Leute inzwischen das anders an...

Auch die Richter, meinen Sie?

Möglicherweise ja.

Wieviele Anträge hatten Sie in den letzten vier Jahren?

Ich bin vielleicht drei Mal zu Sitzungen beim Landesamt für Verfassungsschutz gewesen. Wir haben in der ganzen Zeit nie einen Lauschangriff billigen müssen außer diesen einen. Es ging bei den Sitzungen mehr um die Frage, ob eine frühere Aktion aufgedeckt wird. Der hier anstehende Fall war der letzte effektive Beschluß, später sind wir nur noch einmal zusammengekommen, um zu entscheiden, daß wir das den Leuten mitteilen. Darauf ging's ja los...

Haben Sie öfter Betroffenen nachträglich etwas mitgeteilt?

Zweimal.

In dem anderen Fall hat es keine Klage vor dem Verwaltungsgericht gegeben?

Nein, da ist nichts gekommen. Und wenn Sie meine persönliche Ansicht hören wollen: Es wird auch ein bißchen aufgeblasen von diesen Leuten...

Von welchen Leuten?

Von den beiden, die da Klagen eingereicht haben. An meinem Telefon hat es in den Jahren 1983 bis 87 ständig geknackt. Die Staatsanwaltschaft kann ja Lauschangriffe machen ohne die G10-Kommission.

Der Staatsschutz...

Die Staatsanwaltschaften müssen das anordnen. Also gelauscht wird auf Deubel komm raus, man darf nicht so furchtbar viel am Telefon erzählen, das ist mir klar.

Haben Sie eine schlimme politische Vergangenheit oder warum hat man Sie ...

Ich hab' damals mal gewütet zwischen der verkommenen Bremerhavener CDU und meiner im gleichen Zustand befindlichen SPD hier in Bremerhaven. Da ging es um Ravens und Teiser. Danach knackte es hier dauernd im Telefon.

Und da, glauben Sie, hat die Staatsanwaltschaft Ihr Telefon abhören lassen?

Weiß ich nicht, kann aber sein. Ich wollte nur sagen: Es kommt immer auf die äußere Stimmung an, ob Leute diese Dinge ernst nehmen oder ganz besonders ernst nehmen, und wenn sie völlig unschuldig sind, dann kommt es auf ihr Temperament an wie in diesem Fall, daß sie dann bei Gericht Anträge stellen.

Das Gericht hat den Leuten immerhin Recht gegeben...

Das formelle Drumherum haben wir damals sehr viel lockerer gesehen, als das Verwaltungsgericht das jetzt herausgeschält hat. Die haben gesagt, es muß im Antrag ganz ausführlich und sorgfältig dargelegt werden, daß die Erforschung des Sachverhaltes auf eine andere Weise, ohne Schädigung des Grundgesetz-Artikels, aussichtslos oder schwierig ist. Das ist der Kern. Damals ist es einfach so gewesen, daß wir vier oder fünf Stunden da gesessen haben, Herr Wilhelm, der Chef des Verfassungsschutzes, war selbst dabei. Es wurde lang und breit darüber geredet, wie denn dieser Antrag begründet sei, und auch daß man auf andere Weise nicht herankommen könne.

Das hat Herr Wilhelm mündlich erklärt?

Ja, das ist alles sorgfältig dargestellt worden. Besonders deshalb, weil die beiden anderen Mitglieder der Kommission, alte Parlamentshasen, den ausgequetscht haben, so daß ich manchmal dachte, es geht ein bißchen weit und es kostet ein bißchen viel Zeit vor allem. Ich wollte immer gern schnell nach Bremerhaven zurück. Die haben an dem Herrn Wilhelm immer mächtig herumgepflückt und der hat das dann immer ganz mächtig dargelegt und hat uns auch gesagt: anders gehts es nicht, wir kommen anders nicht weiter.

Nun hat das Gericht erklärt...

Das Gericht hat gesagt, das muß in dem schriftlichen Antrag sorgfältig dargetan werden.

... und der Antrag darf nicht nur die gesetzliche Formulierung abschreiben.

Ja, und es darf nicht so gesudelt werden wie es dann offenbar in dem Antrag ganz verkürzt gestanden hat. Aber wir haben nicht über den schriftlichen Antrag geredet, wir haben das mündlich vorgetragen bekommen.

Vermutlich waren die früheren Abhör-Anträge ähnlich formelhaft und unzureichend begründet wie dieser. Wird die G10-Kommission Konsequenzen ziehen aus dem Urteil?

Die Kommission muß in Zukunft genau gucken: Steht das, was die uns vorgetragen haben, auch in dem Antrag drin? Damit das gerichtlich nachprüfbar ist.

Trotz der ausführlichen mündlichen Begründung hat der Verfassungsschutz per Telefonüberwachung dann festgestellt, daß der schwer verdächtige Verfassungsfeind Gitarre spielt und sich musikalisch mit Steve Biko befaßt...

Was jetzt herausgekommen ist, das ist natürlich auch nicht die Wahrheit.

Was meinen Sie damit?

Was die Kläger vortragen, das soll ein bestimmtes Ziel erreichen. Das hat mit der Wahrheit nichts zu tun, sondern nur mit den feststellbaren Tatsachen.

Aber auch der Verfassungsschutz hat, als Zeuge vor Gericht geladen, erklärt, der Verdacht habe sich als gegenstandslos erwiesen.

Bei der Telefonüberwachung hat sich nichts ergeben.

Hat denn das gestimmt, was der Verfassungsschutz Ihnen vorher zur Begründung der Überwachung vorgetragen hat?

Wenn der Verfassungsschutz vorher zur Begründung etwas vorträgt, ist die Situation noch eine andere. Dann haben sie nur mit ihren anderen Beobachtungen Fakten herausgearbeitet, mit denen sie uns ihren Antrag begründen.

Wenn der Verfassungsschutz vorher aber den Eindruck hatte, das ist ein schlimmer Finger, und hinterher kommt heraus: Alles Quatsch, der spielt Gitarre,...

Dann meinen Sie, daß man daraus des Schluß ziehen kann, die Anhaltspunkte konnten nicht handfest gewesen sein.

Ja. Ich werfe diese Frage auf.

Die können Sie aufwerfen, die hat auch eine Berechtigung.

Sie denken auch im Nachhinein: Was damals mündlich vorgetragen wurde...

... das hat uns völlig gereicht.

Und das war schwerwiegend?

Das war ausführlich, und eine relativ lange Sitzung. Int.: K.W.