Besserwessis unter der Geißel

■ »Hurra, wir labern noch«: Die letzten Westler im Ratibor-Theater

Ein Demonstrationsfall für das »Komitee für Gerechtigkeit«! Das Credo des Komitees »Wir alle müssen erleben, wie den Menschen in den neuen Bundesländern mit Ver- und Mißachtung, Fremdbestimmung, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung begegnet wird«, dieses Credo haben sie gut studiert, sind in sich gegangen — und nun? Peitschenhiebe und Selbstgeißelung! »Die letzten Westler« tun auf der Bühne des Ratibor-Theaters Buße, zeigen Reue, und sie zeigen zu Demonstrationszwecken die ekelhaftesten Auswüchse der Westplage, die das (erst noch zu begrünende) Naherholungsgebiet Ost überfallen und die Einheimischen ohne Rücksicht auf Verluste überrollen. So richtig eklig sind sie.

Nein, nein, ich wußte wirklich nicht, daß Westler so viel Selbstgeißelung betreiben können. Also, liebes »Komitee für Gerechtigkeit«: rein ins Ratibor-Theater, um die ersten der bekehrten Westler zu begutachten!

Die vier letzten Westler und zwei letzten Westlerinnen auf der Bühne spielen (mit dem bekehrten Bewußtsein) Besserwessi-Kolonisatoren, die ein (nach Anlaufschwierigkeiten!) unendliches Labern auszeichnet, unterstützt von raffiniertem Blendwerk, das die Ossis — oh weh, was bleibt da noch anderes übrig — per se, weil verfolgt, gedemütigt und aufs schändlichste abgezockt, zum besseren Menschen macht.

Schade, daß Kabarett so oft in Schwarzweißschablonen denkt und sich damit die Spitzen und Pointen selbstmörderisch ins eigene Fleisch rammt.

»Hurra, wir labern noch« heißt das Programm, wohl in Anlehnung an Johannes Mario Simmels »Hurra, wir leben noch«. Noch also labern wir, noch leben wir — bei den »Letzten Westlern« sind jedoch schon die letzten Minuten des BRDDR-Schiffes, wenn nicht gar des ganzen Planeten angebrochen: Das Schiff ist im Sinken begriffen, die Westler indes labern ignorant weiter — und schuld an alledem ist...Gysi! Sofern man dem Höhepunkt des Abends glauben darf. Olaf Ostertag, blaß und nickelbebrillt, eigentlich ein recht unscheinbarer und — der Logik des Abends folgend — ein untypischer Westler, holt in zungenbrecherischer Geschwindigkeit zum geistvollen Rundumschlag gegen Gysi- Kritiker aus allen Lagern (hüben wie drüben) aus.

Nur einer, einer schafft das nicht mehr so richtig. Das pfälz'sche Geplapper geht ihm nicht mehr so recht über die Lippen. Helmut, verlassen von »seinem« Volk und seiner Sekretärin Juliane: Ein Wrack, das erste Westwrack, das sich trotz Aufbau- Therapie den aufrechten Gang nicht mehr traut. Recht so! Das wird dem Komitee gefallen. Oder irre ich mich? »Am demütigendsten«, so heißt es in ihrem Thesenpapier weiter, sei für Ossis »das scheinbare Mitleid für ihr Leben in den vergangenen Jahren (...), mit dem sie nicht nur für armselig, sondern zugleich für unfähig und unwissend erklärt werden.« Wie sie dann wohl das Mitleid mit der jetzigen Lebenssituation finden? Petra Brändle

Weitere Vorstellungen: Bis 13 September, Do. - So. 21 Uhr im Ratibor Theater, Cuvrystraße 20. Donnerstag ist Theatertag mit ermäßigtem Eintritt.