WANDUNDBODEN
: Das Augenmaß des Ästheten

■ Kunst in Berlin jetzt: Laszlo Fehér, Marija Serebrjakova, Olav Christopher Jenssen, Adib Fricke

Daß man in der Postmoderne nicht leben könne und wolle, war ein stilles Einverständnis ihrer Macher. Auf den Bildern von Laszlo Fehér erscheinen die Menschen jedoch, als wären sie im Gedankenaustausch darüber enträumlicht und entzeitlicht worden, als Opfer eines strategischen Denkens. Fehér versiegelt die dargestellten Personen in einem Augenblick, dessen »kühle Objektivität« und »absolute Exaktheit« an die Fotografien der neuen Sachlichkeit erinnern. Doch Fehérs Menschen sind, wenn auch nur schemenhaft, aus einer unbestimmten Erinnerung gemalt und nicht von einer Apparatur festgehalten.

Ein in den Bildern wiederkehrender Junge verweist auf Knirpse aus den 30er Jahren, ebenso die Ruinenarchitektur, durch die sich die Figuren bewegen wie auf einer Bühne. Ihr Blick ist blind, die Augenhöhlen leer, so daß das Stillgestelltsein in einer vergangenen Zeit allegorische Züge annimmt. Fehér hat sich letztendlich selbst mit in die Bilder einer immerwährenden Moderne, aus der niemand herausfindet, gesetzt. Die Gegenstände des Künstlers als Melancholiker, wie ihn Dürer dargestellt hat, sie finden sich als Spielzeug des Jungen wieder: Kreisel, Kugel, Zeichentisch. Der Blick des Malers schweift über eine erinnerte Welt in einer Zeit, aus der nur Bilder übriggeblieben sind. Kein schöner Start in den Tag.

Bis zum 2.8. in der IFA-Galerie, Friedrichstr.103, DI-FR 11 bis 13.30, 14 bis 18 Uhr, SA, SO 11 bis 13.30, 14 bis 17 Uhr.

Das Studio III des Bethanien bietet ungewohnten Trost. Marija Serebrjakova setzt den Betrachter auf eine Stufe unterhalb der Engel, die vom oberen Fries der Doppelsäulen mildtätig herabschauen. In halber Höhe hat die Moskauer Künstlerin Stühle auf Stelzen installiert, die in stiller Geste auf die Halbwesen gerichtet sind. Für den Besucher ist der verwaiste Thron unerreichbar, aber begleitende Fotomontagen weisen ihm den Weg. Serebrjakova hat aus Foto- Abbildungen barocker Stühle die Sitzfläche ausgeschnitten und das Loch mit Motiven einer kargen, doch reinen und offensichtlich unberührten Natur unterlegt. Es scheint, als wäre mit wenigen Symbolen das gnostische Credo einer gläubigen Künstlerin entfaltet worden, die trotz allem Bekenntnis zum christlichen Glauben die Bilder verehrt. Entgegen der durchaus beabsichtigten Versenkung im Zwiegespräch mit Gott gibt es allzu viel Ablenkung: Technik, Handwerk, Tischlerei. Daher wird auch die symbolisch beladene gläserne Spirale zum Paravent gegen das Bedenkliche: Zwölf Fenster verbinden sich über Scharniere verknüpft nach biblischen Maßen zum Schneckenhaus. Die letzte Scheibe ist ausgespart, der Besucher könnte sie mit seiner Anwesenheit ersetzen.

Das aber ist das Problem der Ausstellung. Sie bleibt zwischen Unmittelbarkeit und Ersatzmetaphern unentschlossen. Mag sein, daß Jan Hoet von diesem Leidensdruck der 27jährigen Künstlerin besonders angetan war. Er hat Marija Serebrjakova zur documenta 9 eingeladen, vielleicht auch nur wegen des schlechten Gewissens angesichts des Räumungsverkaufs in Sachen Kunst. Ob die Kirche helfen kann?

Bis zum 26.7., Mariannenplatz 2, DI-SO 14 bis 19 Uhr.

Ein anderer documenta-Künstler steht bei Bruno Brunnet Fine Arts auf dem Programm. Olav Christopher Jenssen verzichtet auf Religion und hält statt dessen am freien Geist der Akademie fest. Der Maler als ernsthafter Arbeiter, der nicht den Wirrnissen der Metaphysik aufsitzt, sondern klar und präzise denkend Strukturen entwirft: »Language«, also »Sprache« produziert. Dabei verfährt der Norweger nach dem Prinzip der Sparsamkeit, die pro Farbschicht nur einen begrenzten Duktus zuläßt. Am Ende lassen sich die Bilder dann scheinbar unendlich in die Tiefe lesen, deuten oder einfach nur sehr gelehrig philosophisch erfassen. Jede Schicht eine Oberfläche. So ist »Language« eine Koppelung von Rosa, Anthrazit und Gelb, die zwischen dem Auslöschungsgestus eines Gerhard Richter und der schillernden Ironie gegenüber dem monochromen Pathos, wie sie Ross Bleckner vertritt, hin- und herspringt. Dichtes Farbwerk, das sich selbst spiegelnd vor der Kritik als Synthese ausbreitet, besser kann sich ein Künstler kaum rüsten.

Bis 1.8., Wilmersdorfer Str. 60/61, MO-FR 14 bis 19 Uhr, SA 11 bis 14 Uhr.

Egal, ob der verstreuten Zettelsammlung an den Wänden der Galerie Dreher ein minimalistisches Modell zugrunde liegt, die Botschaft bleibt geschmacklos. No.390, das sind 254 computergesteuerte Schlagzeilen von Adib Fricke, die im Dreck der Sensationsblätter wühlen: »Putzfrau mußte Kot essen!«, »Flughafenchef starb in Sauna!«, »Schon wieder: Mord in Sachsenhausen!«... Irgendwann hört man zu lesen auf. Die Struktur der Schreckensmeldungen ist bekannt. Der Künstler bürstet sie gegen den Strich. Mit den Satzfragmenten einer zuvor schon verknappten Sprache hat er sein Datenverarbeitungssystem gespeist, um per Zufallsgenerator »Modellsätze« des Boulevardjournalismus im Computer zu regenerieren. Keine Aussage ist somit wahr, und keine ist ebenso falsch. Das Programm erzeugt ein Double der Lüge, indem Bezeichnetes und Bezeichnendes offenkundig auseinanderfallen. Aufklärung gibt jedoch der Trick, mit dem der desillusionierte Scheincharakter der Sprachbilder aufgezeichnet wird. Denn die flächige Anordnung der Zettel ist nach dem Augenmaß des Ästheten vorgenommen worden. Man muß nicht alles lesen, man muß nur wissen, wo es steht, mit diesem Willen zur Ordnung, an diesem Punkt der Distanz gerät der totale Informationsfluß, mit dem Adib Fricke spielt, ins Stocken. Der Textur desSuper!-Trash wird es nicht schaden.

Bis 2.8., DI-FR 15 bis 19 Uhr, SA 11 bis 14Uhr.

Harald Fricke