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Barcelona macht sich hübsch

Endspurt in der Olympiastadt/ Die letzten Palmen und Polizisten werden ausgepackt/ Bettler und Prostituierte verschwinden aus dem Straßenbild, Hetzjagd auf Separatisten  ■ Aus Barcelona Antje Bauer

Wer Cobi noch nicht kennt, wird das jetzt unweigerlich nachholen. Ob als Ray-Ban-Brillenträger, als Terrakottafigur, als T-Shirt-Verschönerung oder in Plastikausführung — das Olympiamaskottchen ist omnipräsent. Mit Cobi konkurrieren können nur die katalanischen Fahnen, die die Reisenden bereits am Bahnhof empfangen und in der Stadt von rostigen Balkons und öffentlichen Gebäuden, von Laternenmasten und aus Fenstern wedeln. Olympiade und katalanischer Nationalismus — unter diesen Zeichen steht Barcelona in diesen Tagen.

Überall wird geputzt und gewienert und letzte Hand angelegt. Der gerade renovierte alte Bahnhof de Francia, in dem die Züge aus dem Norden einfahren, riecht neu. In den riesigen Hallen rieselt klassische Musik, während fieberhaft die letzten Fahrkartenschalter mit Computern ausgerüstet werden. Die Holzbänke an der Hafenmole, auf denen die Barceloneser nachmittags sitzen und aufs Meer schauen, sind noch in Packpapier eingepackt, und auch die frisch angepflanzten Palmen an der Uferpromenade des Fischerviertels Barceloneta wurden noch nicht ausgewickelt.

Die meisten großen urbanen Neuerungen sind freilich längst eingeweiht: Im Olympiadorf in Poble Nou am Rand der Stadt sind schon mehr als tausend Athleten eingetroffen, die vor dem Beginn der Spiele hier ein wenig Strandurlaub machen und bei Ausflügen in die Stadt ob ihrer Körperausmaße bestaunt werden. Die großen Umgehungsstraßen haben sich längst mit Autos gefüllt, die den ohnehin chaotischen Verkehr der Stadt weiterhin angeheizt haben. „Carril Olimpic“ steht auf Schildern entlang der Strecken, auf denen die Olympioniken zu den Sportanlagen fahren werden und die zu diesen Zeiten für den übrigen Verkehr gesperrt sind.

Zwar riecht es noch immer in vielen Gassen des Altstadtviertels Ciutat Vella nach Feuchtigkeit und Pisse, zwar blättert noch immer von vielen Fassaden der Putz, und klaffende Risse in Mauern sowie bröckelnde Dächer zeugen von armseligem Wohnen. Doch hat die Zahl der renovierten Häuser, der hellen Fassaden und der gepflegten Plätze in den vergangenen Jahren zugenommen. Vor wenigen Jahren hatte die Bürgerinitiative des Viertels einen Alarmschrei losgelassen. In den Stadterneuerungsplänen des Rathauses anläßlich der Olympiade sah sie die Wegbereitung für Spekulanten und Yuppies. Erste Spekulationsskandale, in denen ältere Bürger aus ihrer Wohnung vertrieben und diese abgerissen wurde, gaben ihnen recht. Doch heute ist der Ton von Juli Carbo, dem Vorsitzenden der BI, milder. „Mit unseren Protesten ist es uns gelungen, diese Entwicklung zu bremsen“, kommentiert er, „auch wenn die Gefahr noch immer besteht. Schließlich sitzen wir hier auf dem teuersten Boden der Stadt. Doch sie müssen jetzt vorsichtiger vorgehen.“

Der befürchtete Einbruch in die Kiezstrukturen ist ausgeblieben. Noch immer kennt man sich im Viertel, spielen die Kinder auf der Straße, singen Kanarienvögel in Käfigen, kaufen die Frauen in Tante-Emma- Läden statt in Supermärkten ein. Das Herannahen der Olympiade macht sich hier vor allem in der verstärkten Straßenreinigung bemerkbar — nachts stinkt es nicht mehr so penetrant nach Müll in den engen Gassen — und in sichtbarer Polizeipräsenz. Wenn auch nicht so wie auf den Ramblas, wo neben Blumen- und Vogelhändlern alle zwanzig Meter eine Streife steht, oder auf den großen Kreuzungen und Bahnhöfen, die alle bewacht werden. Die verstärkten Straßenkontrollen mögen dazu geführt haben, daß heute kaum noch Schwarze in Barcelonas Straßenbild auftauchen — sie haben Probleme mit ihren Papieren, erklärt ein schwarzer Maler der taz. Auch Bettler sind immer weniger zu sehen, und Juli Carbo mutmaßt, sie seien einer nach dem anderen eingesammelt worden und würden mit sanftem Zwang in Obdachlosenheimen behalten, bis die Olympiade vorbei ist.

Eine Gruppe, die ebenfalls aus dem Stadtbild verschwinden sollte, hat sich gewehrt: die Prostituierten und Travestis, die in der Nobelgegend Ramblas de Catalunya ihrem Gewerbe nachgingen. Das Ansinnen, ihr angestammtes Gebiet gegen den abgelegenen Freihafen Zona Franca zu vertauschen, beantworteten sie mit Sitzstreiks, die jedoch gewaltsam beendet wurden. Seitdem sind sie an ihrem gewohnten Arbeitsplatz nicht mehr zu finden.

Noch in ganz anderer Weise wurde in Erwartung der Olympiade „gesäubert“: In der zweiten Juliwoche wurden in mehreren Orten Kataloniens 29 Personen wegen angeblicher Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit an der katalanischen Untergrundorganisation „Terra Lliure“ festgenommen. Zwölf der Verdächtigen sind inzwischen, teils mit Auflagen, wieder freigekommen, die übrigen sitzen ein. Die Massenfestnahmen haben in Katalonien breite Empörung ausgelöst. Zum einen wegen der Art der Festnahmen: Die Barceloneser Redaktion der Wochenzeitung El Temps wurde ohne Durchsuchungsbefehl auf der Suche nach dem Redakteur Oriol Mallo durchkämmt, der Medizinprofessor Oriol Marti wurde direkt aus seiner Praxis abgeführt. Zum zweiten wegen der Personen, die verdächtigt wurden: Die Mehrheit von ihnen war seit zwei Jahren nicht mehr politisch aktiv oder hatte, wie Oriol Marti, nie zum politischen Umkreis von Terra Lliure gehört.

Schließlich hatten zahlreiche Festgenommene ausgesagt, gefoltert worden zu sein (siehe Kasten). Daß der Popanz Terra Lliure, eine Organisation, deren Brandanschläge nie Menschenleben gefordert haben und deren Mehrheit sich vor einem Jahr vom bewaffneten Kampf distanziert hat, zu Massenfestnahmen benutzt wird, sieht Angel Colom als Drohung gegenüber seiner Partei an. Colom ist Generalsekretär von ERC (Esquerra Republicana de Catalunya), der katalanischen republikanischen Linken, die die Unabhängigkeit Kataloniens fordert. Terra Lliure hatte sich im vergangenen Jahr in dieser drittstärksten Partei der Region aufgelöst.

ERC war der treibende Faktor für eine Katalanisierung der Olympischen Spiele. Die Festnahmen haben Protestkundgebungen in mehreren Städten Kataloniens und die Kritik selbst des konservativ-nationalistischen Landesvaters Jordi Pujol ausgelöst. „Sie wollen eine verzerrte Realität von Barcelona zeigen“, kritisiert Colom, „und deshalb schaffen sie die Nutten weg und verhaften die Nationalisten.“ Nicht umsonst hatte das Motto für die Vorbereitung auf die Olympiade geheißen: „Barcelona macht sich hübsch.“

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