KOMMENTARE
: Kein Kampf gegen die Mafia

■ Nicht die Instrumente fehlen in Italien, sondern der politische Wille

Man kann es nur immer wiederholen: der Schrei nach Sondergesetzen, der nach jeder „exzellenten Leiche“ — wie Italien hochrangige Ermordete zu nennen beliebt — laut wird, ist als Aufschrei der Ohnmächtigen zwar verständlich, im operativen Einsatz aber schon immer ein Nonsens gewesen. Solange sich die Mafiabosse ziemlich unbehelligt auf der Mittelmeerinsel bewegen können und Politiker sich dort allenfalls zur Wahlzeit und zu Begräbnissen der jeweils aktuellen Opfer sehen lassen, ist der Kampf gegen den Terrorismus der Banden und ihrer Chefs aussichtslos.

Italien hat juristische und fahndungstechnische Mittel, bei denen deutsche, schweizer und sogar die gewiß nicht zimperlichen US-amerikanischen Ermittler feuchte Augen bekommen. Die Polizei kann abhören und mitschneiden, Briefe öffnen und Menschen tagelang ohne Zugang zum Verteidiger einsperren; Daten können hin- und hergeschoben werden, ganz nach Herzenslust, ein Schutzgesetz dafür gibt es sowieso nicht. Bis vor kurzem konnten die Staatsanwälte ihre Beweismittel bis zum Prozeßtag faktisch geheimhalten, ohne Recht des Angeklagten auf Einsicht; sie kann bis heute monatelang ganze Firmen wegen Mafia-Verdachts blockieren und muß nicht einmal Schadensersatz dafür bezahlen, wenn alles falscher Alarm war.

Doch all das hat nichts genutzt: Die Unterweltfirmen setzen ungehindert Milliarden Dollar um, jedes Jahr wird die Liste der Ermordeten länger, allein in der ersten Hälfte dieses Jahres waren es über eintausend. Selbst die Todesstrafe, immer wieder herbeigerufene ultima ratio, hat keine Abschreckungswirkung: In einigen Fällen haben sich Polizisten direkt gerächt und mutmaßliche Killer ihrer Kollegen beim Verhör erschlagen. Die Handlanger wachsen dennoch nach wie Pilze.

Es geht eben nicht um andere Normen; es geht um die operativ sinnvolle Anwendung der bestehenden — und dazu ist politischer Wille vonnöten. Wieso läßt sich das Land einen Justizminister gefallen, der sich heute zum Antimafia-Garanten stilisiert, gestern aber noch mafiose Wahlhilfe gefallen ließ? Setzte er nicht bis vor zwei Jahren alles daran, die damals einigermaßen funktionierenden Sonderkommissionen um — just — die nun ermordeten Ermittler Falcone und Borselino zu diskreditieren und auszuschalten? Warum ist die vor einem halben Jahr beschlossene FBI-artige Bundespolizei — eine der wenigen aussichtsreichen Strukturen im Kampf gegen die Organisierten — erst mit 200 statt der geplanten 3.000 Personen ausgestattet? Warum werden aussagewillige Täter noch immer nicht geschützt? Warum müssen in Palermo und Neapel gerade mal ein halbes Dutzend Staatsanwälte Berge von mehr als einer dreiviertel Million Verfahren bewältigen? Warum waren die Behörden gegenüber den linken roten Brigaden jederzeit zur Isolationshaft bereit, konnten sich nicht einmal bei Sterbenskranken zur Haftaussetzung entschließen, finden es aber ganz und gar unmenschlich, einen korrupten Stadtdezernenten und seinen Schmiergeldgeber länger als einen Tag festzuhalten, und überführen einen Mafiaboß, der über Rückenschmerzen klagt, flugs ins nächste unbewachte Hospital?

Nein: welche neuen Gesetze da helfen sollen, ist nicht auszumachen. Werner Raith, Rom