DEBATTE
: Eine ganz prinzipielle Frage

■ Wie Plisch und Plum die Sozialdemokratie aufs Glatteis locken wollen

Professionell sind sie schon, die beiden neuen Stars der christlich-liberalen Koalition, Plisch Kinkel und Plum Rühe. Sie versuchen, die Sozialdemokraten mit der raffinierten Vermischung einer konkreten und einer prinzipiellen Frage aufs Glatteis zu locken. Die konkrete Frage geht dahin, ob der bosnische Krieg durch eine Intervention beendet werden könnte; noch konkreter: welchen Sinn Marineoperationen zur Überwachung des Embargos gegen Serbien machen. Die ethnisch-prinzipielle Frage greift viel weiter. Kann Deutschland, lautet sie, ein für allemal ausschließen, bei Genozid und Landraub den Angegriffenen mit militärischer Gewalt beizustehen?

Die coole Kombination beider Fragen, so hoffen Plisch und Plum, werde die Opposition verwirren und die Regierenden in den Stand setzen, im nachrichtenarmen August spektakuläre Besuche auf dem Zerstörer „Bayern“ zu veranstalten. Geht diese Rechnung auf?

Konkret: Bosnien hilft kein Militäreinsatz

Die konkrete Frage ist nämlich ganz einfach zu beantworten. Alle kriegserfahrenen Militärs sagen unisono, daß eine militärische Intervention in Jugoslawien blutiger Unsinn wäre. Um die frühere jugoslawische Volksarmee und die unterschiedlichen Freischärler-Banden zu besiegen, wäre ein Aufgebot von Luftlandetruppen notwendig, das dem des Golfkrieges kaum nachstünde. An ein Terror-Bombardement Belgrads oder anderer serbischer Städte wird ja wohl kein zivilisierter Mensch denken. Hinzu kommt, daß die Analyse der Kriegsgründe, wie sie Amerikaner, Engländer, Franzosen oder Deutsche anstellen, ziemlich verschieden ist. Während die Deutschen sich daran gewöhnt haben, die Serben für die mehr oder weniger Allein-Schuldigen zu halten, sehen das die wichtigsten Alliierten der Deutschen weit differenzierter.

Kurz und gut: eine militärische Operation wird Bosnien nicht befrieden. Nach Abzug der Besatzertruppen würden die ethnischen Konflikte erneut explodieren. Im übrigen wäre ein Kampfeinsatz in Serbien die schönste Garantie für die Stabilisierung des schon gefährdeten Diktators Slobodan Milosevic. Nicht viel anders fällt das Urteil über die derzeit laufende Marineoperation in der Adria aus. Um Schiffsbewegungen festzustellen, sind Heldentaten junger Marinesoldaten nicht vonnöten; die Amerikaner haben über ihre Satellitenbeobachtungen alle Daten. Der entscheidende Bruch des Embargos passiert gar nicht auf See; er wird von Rumänen, Griechen, Russen begangen, die weiterhin Öl nach Serbien liefern. Griechenland hat aus den Tagen des alten Jugoslawiens einen Stromverbund mit den Serben; es müßte ganze Teile seines Landes in Finsternis tauchen, wenn es die Verträge mit den Serben nicht mehr erfüllte. Eine absurde Situation: Während auf der Adria schmucke Handelsschiffe mit flatternden Wimpeln die Entschlossenheit des freien Westens symbolisieren, für die Menschenrechte einzutreten, wird die Kampfkraft der Serben durch den Nato- und EG-Partner Griechenland aufrechterhalten. Dieser Plot könnte von Samuel Beckett erfunden worden sein.

Prinzipiell: Dürfen Deutsche militärisch helfen?

Da Plisch und Plum aber ausgeschlafene politische Praktiker sind, vermeiden sie die Debatte über diese ziemlich eindeutigen Fakten. Sie locken die Opposition ins Ethnische und gewinnen dort den Zuspruch, den sie im Konkreten niemals ernten könnten. Denn die prinzipielle Frage, ob die Deutschen denn für alle Zukunft ausschließen könnten, bei einem Aggressionskrieg mitten in Europa oder der Vernichtung einer Minderheit auch militärisch »zu helfen«, kann nur schlecht rundum bejaht werden. Die prinzipielle Beschränkung auf »eigene Angelegenheiten«, also die Verteidigung des eigenen Gebiets, wird in der neuen Lage nach 1989 in einigen Fällen weder ethnisch beantwortbar, noch politisch mehrheitsfähig sein; eine solche Haltung liefe auf die Praxis »wir zahlen, ihr schießt und sterbt« hinaus. Auf die Dauer müßte eine derartige Politik die Verachtung der ganzen Welt auf sich ziehen.

Nun ist diese »prinzipielle« Frage alles andere als eilig oder aktuell. Sie lohnt vielmehr eine ernsthafte, vielfältige und systematische Debatte. Das Argument, daß die Deutschen, die in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts zwei Weltkriege verschuldet und den schrecklichsten Massenmord der Geschichte auf ihr Gewissen geladen haben, in den nächsten Jahrzehnten in militärischen Auseinandersetzungen nur mit Friedenskorps, nicht aber mit Kampftruppen beteiligt sein sollten, ist keineswegs mit der linken Hand vom Tisch zu wischen. Es lohnt eine große gesellschaftliche Auseinandersetzung sowohl im Volk als auch im Parlament.

Ich selbst halte das Gewaltpotential im ethnisch zerklüfteten Europa nach dem Geschichtsbruch von 1989 für zu groß, als daß die Deutschen eine solche Haltung auf Dauer durchhalten könnten. Massenmord an Minderheiten, wie sie im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts an den Armeniern begangen wurden, werden von Tag zu Tag wahrscheinlicher. Deswegen könnte ich mir unter bestimmten Bedingungen auch Kampfeinsätze der Deutschen out of area vorstellen, und zwar

—bei einer Anforderung solcher Truppen durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen, also für den Fall, daß die UNO selbst interveniert. Das wäre der Fall der berühmten Artikel42 und 43 des KapitelVII der UNO-Charta, der allerdings in der Geschichte der Weltorganisation noch nie auftrat. Man sieht: so eilig ist die Sache nicht.

—bei einer vollen Integration der Bundeswehr in eine europäische Verteidigungs-Union, bei der sich der größte europäische Nationalstaat nicht anders verhalten dürfte als die anderen Partner.

—und bei Fixierung einer qualitativen Parlamentsmehrheit für jeden einzelnen Militäreinsatz. Nichts gegen die eigenständige Rolle der Bundesregierung auf dem Gebiet der Außenpolitik. Wenn Deutsche sich aber wirklich wieder an irgendeinem Krieg beteiligen sollten, dann bedarf dies der Zustimmung aller großen Strömungen in unserem Volk. Mit der Mehrheit von zwei oder drei Abgeordneten darf da gar nichts gehen.

Wir brauchen eine große gesellschaftliche Debatte

Eine derartige Veränderung könnte am Ende einer seriösen Verfassungsdebatte stehen. Die Idee, den bosnischen Krieg als Vorwand dafür zu benutzen, diese Debatte sozusagen einzusparen und schnell vollendete Tatsachen zu schaffen, ist dagegen aberwitzig. Sie ist das Produkt jenes immer wieder geleugneten Feuilleton-Nationalismus, der inzwischen auch politische Handwerker ergreift. Seine Maxime heißt pathetisch-verwaschen: »Das wiedervereinigte Deutschland muß sich seiner neuen Verantwortung stellen!« Dahinter steht, bei der Rechten, das alte Konzept, Deutschland zur Vormacht Mitteleuropas zu machen. Wen darf es da wundern, daß die Linke sich wehrt? Sie sollte nur klar und deutlich sagen, wogegen. Und sich von Plisch und Plum nicht aufs Glatteis führen lassen — mitten im Sommer. Peter Glotz

Der Autor ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages für die SPD