Getrennt senden — gemeinsam gewinnen

Statt Gemeinschaftswellen zu produzieren, wollen SFB und ORB sich gegenseitig bestrahlen — Verlierer ist Radio 4U  ■ Von Ilona Marenbach

In Berlin droht die zweite Abschaltung einer Jugendwelle in diesem Jahr: Nachdem am 1.Juli das DDR- Jugendradio DT64 ins Nirvana der sächsischen Mittelwelle entschwand, könnte es nun die SFB-Jugendwelle Radio 4U erwischen. Bei den MacherInnen jedenfalls schrillen schon die Alarmglocken. Seit gestern morgen läuft aus Protest ein Zitat des ORB-Intendanten Hansjürgen Rosenbauer als Jingle über den Sender. Rosenbauer hatte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem SFB-Intendanten von Lojewski am Montag gemutmaßt: „Der SFB wird Radio 4U einstellen.“

Hintergrund ist, daß der Brandenburger Intendant bei den Kooperationsverhandlungen zwischen SFB und ORB um jeweils eine gemeinsame Service- und Jugendwelle die Weichen neu gestellt hat. Künftig soll auf zwei Hörfunkwellen nicht, wie ursprünglich geplant, gemeinsam gesendet, sondern — getreu der neuen Rosenbauer-Losung, „getrennt senden, gemeinsam gewinnen“ — zweigleisig gefunkt werden. Nachdem am vergangenen Donnerstag eine Einigung zwischen beiden Landesrundfunkanstalten in Sachen Kooperation erzielt worden war, kam der ORB am Freitag mit neuen Überlegungen: Die einst gemeinsam geplante Jugendwelle soll unter die komplette Federführung der ORB- Jugendwelle RockradioB gestellt werden — von einer Zusammenlegung mit Radio 4U ist keine Rede mehr. Der SFB soll hingegen die Servicewelle, die auf der Frequenz von SFB2 ausgestrahlt werden soll, allein gestalten und dafür auch Sender in Brandenburg erhalten. Jeweils fünf Mitarbeiter sollten — so Rosenbauer — zwecks Ost-West-Integration und zur Demonstration des guten Willens zur anderen Welle wechseln. SFB-Chef Günther von Lojewski ist von dieser neuen Wendung so begeistert, daß ihm erst einmal nichts dazu einfällt („kein Kommentar“); würde die Aufteilung doch bedeuten, daß der SFB sein Jugendprogramm Radio 4U einstellen müßte. Der Medien-Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg reduziert die Programme der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf insgesamt sechs (bisher sieben). Die Frequenz von Radio 4U würde also voraussichtlich neu ausgeschrieben. Bis Freitag ging man bei Radio 4U noch davon aus, daß ab 1.Oktober eine paritätisch zusammengesetzte Crew aus je neun Redakteuren die Arbeit aufnimmt. Sollte sich der ORB durchsetzen, dann könnten sich die 4U-Leute bestenfalls in Potsdam um eine Stelle bewerben. Rosenbauer begründet seine neuesten Vorschläge unter anderem mit der Medienanalyse '92. Die hatte ergeben, daß die SFB- Programme vorzugsweise im Westen gehört werden, während das Programm Antenne Brandenburg des ORB in Brandenburg am beliebtesten ist; RockradioB blieb bei der Untersuchung ohne Resonanz. Aus diesen Quoten, so Rosenbauer, ergebe sich für die Sender „ohne Aufgabe der Integrationsbemühungen eine Aufteilung nach Ost- und Westinteressen“. Was die Werbegelder angehe, seien diese „Unterschiede in den Hörerinteressen produktiv zu nutzen“. Am Donnerstag will der SFB auf einer Sonderdirektorensitzung seine Sprachlosigkeit überwinden und eine Antwort finden. Bis dahin haben die Radio-4U-Leute einen Maulkorb verpaßt bekommen.

Auch im Fernsehbereich ist man trotz der gemeinsamen Regional- „Sportschau“ am Samstag von einer Kooperation weit entfernt. Statt eines gemeinsamen Dritten Programms wird der SFB bei seinem Dritten im Tagesprogramm ab Oktober mit dem Mitteldeutschen Rundfunk zusammenarbeiten. Ab 18.30Uhr wird dann anstelle des aufgekündigten N3-Programms das neue Berlin-Programm des SFB mit Namen B1 laufen. Dazu gehört auch die bei BerlinerInnen beliebte „Abendschau“, die aus Gründen der ARD-Vorabendharmonisierung in einer verlängerten Variante aus dem Ersten ins Dritte verbannt werden soll. Während sich die „Abendschau“-Redaktion und der SFB-Redakteursausschuß gegen die Abschiebung wehren, winkt Lojewski ab: Die „Abendschau“, „das Herzstück des Senders“, werde ja gar nicht aus dem Ersten herausgenommen, sie werde, „zwar verkürzt auf 15 Minuten in zwei Blöcken“, auch im Ersten bleiben.

In einem Punkt sind sich ORB und SFB jedoch einig: Der Medienstaatsvertrag Berlin/Brandenburg, den die beiden Länderparteien im Frühjahr verabschiedet hatten, sei verfassungswidrig. Die im Vertrag festgeschriebene Verpflichtung zur Programmkooperation und die Beschränkung der Frequenzen seien ein unzulässiger Staatseingriff in die Autonomie der Rundfunkanstalten. „Wir sind kooperationswillig“, meint Rosenbauer wenig überzeugend, „wir lassen es uns nur nicht von der Politik vorschreiben.“ Gegen das Vertragswerk wollen sie Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen.

Und getreu dem neuen Rosenbauer-Slogan werden die Klagen „getrennt“ nach Karlsruhe „gesendet“, um „gemeinsam gewinnen“ zu können.