Olivenzweig und lebenslange Rasur

■ Bescheiden nahmen sich die Siegprämien für die ersten Olympiasieger der Neuzeit aus / Kleine Geschichte der Olympischen Sommerspiele von Athen 1896 bis Barcelona 1992, TeilI

Hamburg (dpa) — Als Kaiser Theodosius im Jahre 393 den Olympischen Spielen der Antike den Garaus machte, weil sie zu einem kommerziellen Spektakel von Berufssportlern verkommen waren, konnte er nicht ahnen, daß 1.503 Jahre später der französische Baron Pierre de Coubertin eine gleichnamige Veranstaltung auf den Weg brachte, die in nicht einmal 100 Jahren alle Ideale über Bord geworfen und alle wirtschaftlichen Ketten gesprengt haben sollte. Die Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit von Athen 1896 bis Barcelona 1992 ist ein Spiegelbild dieser Welt mit großen Siegen und bitteren Niederlagen für Ethik und Moral, Politik und Sport.

Die Show begann am Ostermontag 1896: Griechenlands König GeorgI. eröffnete im restaurierten, antiken Panathenäischen Marmor-Stadion die ersten Olympischen Spiele neuer Zeitrechnung. Das größte Sportereignis der Welt feierte einen bescheidenen Einstand: 311 Sportler aus 13 Ländern kämpften in Athen um 42 Olympiasiege in neun Sportarten — in Barcelona werden es rund 10.000 Aktive aus mehr als 170 Ländern sein, die in 25 Sportarten 257 Sieger ermitteln. Als erster Olympiasieger der Neuzeit ist der amerikanische Dreispringer James Conolly in die Geschichte eingegangen. Eine Goldmedaille erhielt er noch nicht. Wie die antiken Sieger wurde er mit einem Olivenzweig geehrt. Den erhielt der Deutsche Carl Schumann gleich zweimal für Erfolge im Ringen und Turnen. Der griechische Schäfer Louis Spiridon konnte sich als Marathon-Sieger für den Rest seines Lebens kostenlos einkleiden und rasieren lassen.

1900 erfüllte sich der Traum von Pierre de Coubertin: Olympische Spiele in Paris. Der Adelige, der am 23.Juni 1894 mit der Gründung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) die neue olympische Zeitrechnung eingeläutet hatte, wollte schon die Premiere an der Seine feiern. Er blitzte aber bei den übrigen IOC-Mitgliedern ab, weil für sie nur Griechenland für die Wiedergeburt der Spiele in Frage kam. Unter den 1.344 Teilnehmern waren auch sechs Frauen, erste Olympiasiegerin wurde die britische Tennisspielerin Charlotte Cooper. Sprung-Wunder Ray C. Ewry (USA) gewann die ersten drei seiner insgesamt acht Goldmedaillen aus dem Stand.

Die Pariser Spiele selbst hatten ein Schicksal wie vier Jahre später die in St. Louis: Sie zogen sich über sechs Monate hin. Das Desaster am Mississippi war aber noch größer, denn nur elf Länder schickten Sportler in die USA. Die Spiele im „Western- Style“ brachten Disziplinen wie Tabak-Weitspucken, Tonnen-Springen und Stock-Fechten hervor. Dafür wurden statt des Olivenzweiges erstmals Gold-, Silber- und Bronzemedaillen vergeben.

Nach einer „Zwischen-Olympiade“ 1906 in Athen zum zehnjährigen Olympia-Jubiläum organisierte London 1908 erstklassige Sommerspiele und imponierte mit einem wahren Olympia-Stadion: In White City waren neben der Aschenbahn auch eine Radrennbahn und ein Schwimmbecken untergebracht. Der Amerikaner Forest C. Smithson lief aus Protest gegen Wettkämpfe am Sabbath mit der Bibel in der Hand — und gewann über 110m Hürden.

Die britische Königin Alexandra spielte Marathon-Schicksal. Sie wünschte, daß das Rennen vor ihrer Haustür auf Schloß Windsor gestartet wurde. Von da waren es genau 42,195 Kilometer bis zum Stadion — die noch heute gültige Marathon-Distanz. Der Italiener Pietri Dorando kam taumelnd an und wurde disqualifiziert, weil ihm unter anderem Sherlock-Holmes-Autor Sir Arthur Conan Doyle über die Ziellinie half. Es war nicht Erschöpfung, was Dorando taumeln ließ, sondern das „Dopingmittel“ Strychnin. Der Sieger von 1904, Thomas Hicks (USA), hatte von der damals nicht verbotenen Substanz ebenfalls so viel genommen, daß er seinen Olympiasieg zunächst nicht wahrnahm. Tragisch endete auch der Marathon vier Jahre später in Stockholm. Der Portugiese Francisco Lazaro starb bei der Hitzeschlacht. Dem zweitplazierten Südafrikaner Christian Gitsham muß ein kalter Schauer den Rücken hinunter gelaufen sein, als er eine Skulptur in Empfang nahm und die Aufschrift las: „Der sterbende Athlet“. Hans-Hermann Mädler

TeilII folgt morgen.