Besinnung auf den Körper

■ Gespräch mit Jan Hoet, dem künstlerischen Leiter der Kasseler documenta, der in diesem Jahr Baseball und Boxen ins Rahmenprogramm genommen hat

taz: Wie sind Sie auf die leicht befremdliche Idee gekommen, Boxen und Baseball ins Rahmenprogramm der documenta aufzunehmen?

Jan Hoet: Der Zusammenhang erscheint auf den ersten Blick etwas seltsam. In einer Zeit, in der der Mensch mehr denn je mit Katastrophen konfrontiert ist wie Aids und multinationalen Kriegen, mit Atomkatastrophen und globalen Klimaveränderungen, in einer Zeit, in der die Bedrohungen abstrakter und die Ängste diffuser werden, scheint mir nur noch ein Besinnen auf unsere körperlichen Bedingungen eine adäquate Antwort zu sein. Und was kann die Verletzbarkeit des Körpers besser aufzeigen als der Sport.

Boxen als Indikator für die Verletzbarkeit des Körpers leuchtet ja noch ein. Aber warum eine in Deutschland so unbedeutende Sportart wie Baseball?

Kunst ist auch nicht populär. Es geht hier nicht um die Popularität. Baseball ist noch in der Situation von Dilletantismus und Amateurismus. Im Sinne von dilectare. Dilectare meint amare, und amare meint Liebe, und das finde ich am wichtigsten.

Laut einer Umfrage unter den Zuschauern beim Auftritt der kubanischen Nationalmannschaft kennt kaum einer die Regeln.

Ist das nicht schön? So muß es auch sein. Es reicht, wenn die Zuschauer sich fragen, was die einzelnen total verschiedenen Abläufe auf dem Platz eigentlich sollen. Baseball ist unglaublich schön – auch von der Räumlichkeit. Raum und Zeit. Baseball ist die intellektuellste Sportart schlechthin. Intellektualität im Sinne, daß jeder autonome Entscheidungen treffen muß.

Und warum Boxen?

Auch beim Boxen sind die Haltungen schön, die Verletztlichkeit ist fantastisch!

Sie haben selbst einmal geboxt?

Ja. Zwei Jahre lang, und ich habe dabei sieben Kämpfe bestritten.

Warum interessieren sich verhältnismäßig viele Intellektuelle für das Boxen?

Es ist vielleicht das archetypische Element. Mann gegen Mann und nichts ist dazwischen. Man kann nicht weglaufen, man hat keine Sekunde Ruhe. Tricks sind kaum möglich, wie auch in der Kunst kaum Tricks möglich sind. Im Fußball etwa kann man sich verstecken.

Wann findet die Boxveranstaltung statt und auf welchem Niveau?

Am 11.September und auf einem sehr hohen Niveau. Die besten Kubaner kommen zum Sparring. Teofilo Stevenson wird auch kommen, allerdings nur als Promoter. Ich finde es interessant, die Leute mit dem Sparring zu konfrontieren. Die meisten Leute haben keine Ahnung, was hinter dem Boxen steht. Viele Leute denken, Boxen ist eine sehr brutale Sache!

Ist es das nicht?

Boxen ist ein Metier. Du kannst viel stärker sein als ich, aber wenn Du nicht boxen kannst, kannst Du nicht gegen mich gewinnen. Du bist viel größer als ich, aber Du kannst nicht gegen mich gewinnen!

Die Entscheidung wird doch von einem Ringrichter subjektiv getroffen, also von einem Außenstehenden. Ist das nicht genauso wie Besucher einer Kunstausstellung?

Ja, da muß der Beobachter auch für sich entscheiden, und das fordert ein großes Engagement in der Beobachtung. Ein sehr erfahrener Beobachter in der Kunst muß ab und zu mal ablehnen, daß er große Erfahrung hat und zurrückkehren zu der Neugier des Kindes. Aber mit der Neugier des Kindes allein kann man das auch nicht machen. Interview: Kai Rehländer