Syrien urteilt ab

■ Zehn bis fünfzehn Schnellverfahren täglich

Berlin (taz) — In syrischen Gefängnissen sitzen gegenwärtig Tausende von politischen Häftlingen, die zum Teil schwerste Folter über sich ergehen lassen mußten. Das geht aus einem heute in London veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) hervor. Während die meisten niemals vor Gericht gestellt werden, werden andere in Schnellverfahren abgeurteilt.

So wird derzeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit eine große Gruppe syrischer politischer Gefangener vor ein Sondergericht in der Hauptstadt Damaskus gestellt. Wie das „Komitee für die Verteidigung der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten in Syrien“ mitteilt, transportierte man in den letzten beiden Monaten alle politischen Gefangenen aus Aleppo und Homs und einen Teil der Häftlinge aus Palmyra zu diesem Zweck in die Gefängnisse Sednaya und Adra nahe Damaskus. Die Schnellverfahren finden vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht unter Vorsitz von Fayez Al-Nuri statt. Vor Gericht stehen vor allem Mitglieder säkularer Oppositionsparteien, insbesondere der Kommunistischen Aktionspartei (PCA) und der Kommunistischen Partei Syriens — Politbüro (PCS - BP).

Bereits seit über eineinhalb Monaten werden täglich zwischen 10 und 15 politische Gefangene vor dieses Gericht gestellt. Einen Pflichtverteidiger sollen sie sich aus einer vom Gericht vorgelegten Liste auswählen. Dem „Komitee“ ist nicht bekannt, ob die Gefangenen dieser Art der „Anwaltswahl“ zugestimmt haben. Manche der Angeklagten wurden erst kürzlich verhaftet, andere sind bis zu dreizehn Jahren ohne Verfahren im Gefängnis. Offenbar wurden speziell die älteren Gefangenen vor dem Verfahren einem Verhör unterzogen.

Die Anklage stützt sich in allen Fällen auf einen Erlaß aus dem Jahre 1965, demzufolge alle Aktivitäten verboten sind, die sich „gegen das sozialistische System Syriens“ und die „Ziele der Revolution“ richten, außerdem der Erhalt von ausländischen Geldern zu diesem Zweck und die „Mitgliedschaft“ in einer solchen illegalen Gruppierung oder Organisation. Über Urteilsverkündigungen wurde bislang nichts bekannt. Das „Komitee“ hat jedoch in Erfahrung gebracht, daß die Gefangenen sich darauf geeinigt haben, die Legitimität des Gerichtes soweit möglich anzufechten, außerdem ihre sofortige Freilassung und Verhandlungen vor einem ordentlichen Gericht zu verlangen.

Die Verfahren unterliegen einer totalen Nachrichtensperre. Vor zwei Monaten wurde über die betroffenen Häftlinge ein absolutes Besuchsverbot verhängt. Das „Komitee“ fordert die sofortige Beendigung der Sonderverfahren und die Entsendung internationaler Beobachter zu allen politischen Verfahren in Syrien.