Richtertod läßt Kassen klingeln

Wie Italiens Unterwelt aus der von ihnen angeordneten Ermordung Paolo Borsellinos Gewinne zieht  ■ Aus Rom Werner Raith

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Für die Börsenspezialisten der „Piazza affari“ in Mailand bekommt plötzlich Sinn, was vordem eher skurril und unerklärlich war — der massive Druck auf die Lira und der Aktien-Verfall just in dem Augenblick, wo sich die Regierung seit eineinhalb Jahrzehnten erstmals wirklich anschickte, den Haushalt zu konsolidieren.

Mehr als 40 Milliarden DM hat die neue Regierung Amato Anfang Juli durch Einsparungen bei den Ausgaben, Verkauf von Staatseigentum und diverse neue Steuern glaubhaft gemacht. Es half nichts, der Aktien-Index rutschte immer weiter ab, die Lira sank auf historische Tiefen, die Mark wurde pro Stück mit bisher einmaligen 761 Lire verkauft. Selbst der Dollar, sonst im Gleichklang mit der italienischen Währung im Sinkflug, hielt sich wieder.

Börsianer und Wirtschaftsjournalisten rätselten. Alleine die Zinspolitik der deutschen Bundesbank konnte es nicht sein, zog doch die Banca d'Italia bei jedem Schritt der Frankfurter im vollen Gleichklang nach. Doch obwohl die Großindustrie und die Hochfinanz andererseits von den Manövern nicht betroffen war — die Steuern zielten auf die Häuslebauer und Rentner, nicht auf die Geldadligen — wurden solche Mengen von Aktien und Lira auf dem Markt feilgeboten, daß die Kurse nicht zu halten waren. Mehr als zehn Prozent verloren die Wertpapiere zwischen Mitte Juni und Mitte Juli, mehr als drei Prozent die Lira innerhalb von nur einem Monat.

Die Erklärung ist nun aller Wahrscheinlichkeit nach gegeben: Wieder einmal hatten Gruppen, die mit einer seltsamen prophetischen Gabe ausgestattet scheinen, ihre Anteilsscheine und Geldbestände weggegeben, weil sie von einem bald auftretenden noch stärkeren Börsengewitter Wind hatten — und das ist nun eingetreten. Der Mord am Antimafia- Untersuchungsrichter Paolo Borsellino, Sonntag abend, hat die Kurse in geradezu unermeßliche Tiefen getrieben, weitere sechs Prozent mußten die großen Konzerne, zusätzlich zu den Verlusten der Vorwochen, abschreiben. Für die Mark wurden zeitweise mehr als 765 Lira bezahlt, der Dollar zog, wiewohl weltweit weiter schwach, gegenüber der italienischen Währung an. „Nach normalen Maßstäben müßte Italien Konkurs anmelden“, sorgt sich bereits ein Mitarbeiter des Schatzministers. Doch mehr noch als die nun wieder zur Makulatur gewordene Aufschwunghoffnung beunruhigt ihn etwas anderes: „Das Ganze ist auch eine Botschaft. Und ich fürchte nicht nur, daß sie verstanden wurde, sondern daß sie auch beachtet wird.“

Da mag er recht haben. Experten der italienischen Finanzpolizei befürchten seit Jahren genau dieses Manöver schwerreicher Unterweltzirkel: Eine Regierung, die — vielleicht nur ansatzweise, aber immerhin — Front machen könnte gegen organisierte Kriminalität in ihren verschiedensten Variationen (von der systematischen Beamtenbestechung für staatliche Aufträge bis zum Drogen- und Waffenhandel), wird über gewaltige Börsenmanöver, begleitet von internen Destabilisierungsaktionen, weichgeklopft.

Die Morde an den beiden bekanntesten und wirkungsvollsten Antimafia-Ermittlern Falcone (Ende Mai) und Borsellino lassen sich genauso in diesem Rahmen deuten wie die merkwürdigen Börsen- und Valutamanöver der vergangenen Tage. Die Regierung Amato sieht sich bereits jetzt zur erneuten Korrektur ihres Haushalts gezwungen. Der Lira- Verfall bedeutet ein Loch von acht bis zehn Milliarden DM, weil die Veranschlagung der auch aufs Ausland zielenden Verkäufe staatlicher Güter korrigiert werden muß und die Schuldenneuaufnahme wesentlich teurer kommt als vorausgesehen — die zur Minderung des Drucks notwendige Anhebung der Leitzinsen um eineinhalb Prozent fallen bei einer Verschuldung in Höhe von mehr als einer Drittelbillion Mark erheblich ins Gewicht. So hat der Präsident der Nationalbank, Carlo Azeglio Ciampi, einer der ersten, die vor der Gefahr krimineller Einflüsse via Spekulation auf die Politik schon vor Jahren gewarnt hatten, bereits nach einem neuen Nachtrag zum Nachtrags-Sparhaushalt gerufen. „Wir müssen nach vorne durch“, macht sich einer seiner Mitarbeiter Hoffnung, „und so lange konsolidieren, bis den kriminellen Gruppen die Luft oder die Lust ausgeht.“

Das kann freilich dauern; nach Berechnungen der Antimafia-Kommission verfügt alleine die sizilianische Mafia über flüssiges Kapital in Höhe von umgerechnet an die hundert Milliarden DM. Und das wird, gerade wenn sich Italien wieder erholen sollte, bald noch mehr sein. Nach Insider-Informationen sind die Gruppen nämlich gerade dabei, sich erneut mit Titeln einzudecken: Der Verfall der Kurse macht erneut riesige Spekulationsgewinne möglich.