Fiktive Besucher im geschlossenen Museum

■ Wie die Stasi den Besuch des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt in einem Ostberliner Museum vorbereitete

Berlin (taz) — Nichts durfte den Besuch des hohen Gastes stören. Oppositionelle nicht, DDR- müde Ausreisewillige nicht — selbst die verrotteten Türen im Schlüterhof des Ostberliner Museums für Deutsche Geschichte (MfG) mußten neu lackiert werden, um dem anstehenden Besuch des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt den rechten Anstrich zu verleihen. Anderthalb Stunden dauerte am Nachmittag des 18. September 1985 der Rundgang des Entspannungsarchitekten, anderthalb Stunden, die die Staatssicherheit mühevoll vorzubereiten hatte.

Sicherungskonzeption nannte sich, was die Herrschaften der „Firma“ in mehreren Sitzungen erarbeiten. Es galt, das „Wirksamwerden feindlich-negativer Kräfte mit demonstrativ-provokatorischen oder andere spektakuläre Maßnahmen“ zu verhindern. „Genosse Herbst“, der Museumsdirektor, schätzte in einem ersten Vorbereitungsgespräch „zur Lage im MfG ein, daß ständig etwa 60 bis 80 Besucher und zusätzlich eine Reihe von angemeldeten Besuchergruppen im Hause sind“. Das konnte einfach nicht gutgehen. Ergo: „Der Aushang geschlossen wird am 18.9.85 am Hauptportal angebracht“. So ist es in den Stasi-Akten überliefert, die jetzt in den Archiven der Gauck-Behörde gefunden wurden. So ist es auch geschehen. Leere Ausstellungshallen hätten aber andererseits als mangelndes Geschichtsinteresse der Bevölkerung interpretiert werden können. Deshalb: „Durch die Kreisleitung der SED werden ca. 40 Personen vorbereitet, die als Museumsbesucher beim Brandt-Aufenthalt die Austellung besichtigen“.

Die Besuchsvorbereitung galt als Chefsache, der Gast war schließlich wichtig. Dem ersten Treffen folgte 48 Stunden später eine ausgewählte Runde, an der neben dem stellvertretenden Abteilungsleiter des ZK der SED, Karl Wildner, der Protokollchef des Außenministeriums, Franz Jasnowski, und der amtierende Direktor des Museums, Gert Henninger, teilnahmen. (Genosse Herbst war, wie den Stasi-Akten zu entnehmen ist, bereits seit dem 12. des Monats bei einem Kuraufenthalt.) Jasnowski gab die Losung aus. „Für alle Beteiligten soll der Eindruck entstehen, daß der Brandt-Besuch im Rahmen des ganz normalen Ausstellungsgeschehens abläuft“. Der Funktionärskreis gab „Feststellungen“ aus: „Die Besichtigung beginnt im Obergeschoß mit dem Abschnitt Entwicklung des Marxismus (1848) — bis 1945“. „Beanstandungen“ wurden auch zu Protokoll genommen, etwa: „Treppenläufer sollten am 18. 9. 1985 neu gereinigt sein (Reinigung durch ,Putzteufel‘, jeweils am Schließtag — freitags).“ Oder: „Zwei Türen der Nordfront des Schlüterhofes sind verrottet. Sie müssen umgehend lackiert werden“.

Die Stasi wäre nicht Stasi gewesen, hätte sie die Mitarbeiter des Museums nicht durchleuchtet. Störenfriede galt es schließlich abzuhalten. Für Ulrike Poppe, Bürgerrechtlerin und Mitarbeiterin im Museum, bedeutete dies: „Wird am 18.9. 1985 bis 17.00 Uhr durch den Abteilungsdirektor arbeitsmäßig gebunden und unter ständiger Kontrolle gehalten“. Auch Jürgen K., ein „Antragsteller zur Übersiedlung“ mußte ferngehalten werden. Stasi-Befehl: „wird mit einer Aufgabe außerhalb des MfG eingesetzt“.

Die Einsatzpläne mußten letztlich durch den Leiter der Bezirksverwaltung, Generalleutnant Schwanitz gebilligt werden. Der Sicherungswahn erreichte in der von ihm bestätigten „Sicherungskonzeption“ erst volle Blühte. „Einsatzgruppen“ wurden gebildet, „Einsatzreserven“ bereitgestellt, eine „Fangeinrichtung“ und ein „Führungsstützpunkt“ eingerichtet. 80 Mitarbeiter des MfS, „darunter ca. 30 Frauen“, lautete am Ende das Plansoll für den Brandt-Besuch. Ultima Ratio, damit auch wirklich nichts in den neunzig Minuten schiefgehen konnte: „Durch den gedeckten Einsatz von 20 operativen Mitarbeitern an neuralgischen Stellen des Objektes wird die Sicherheit und Ordnung in einem hohem Maß gewährleistet.“ Wolfgang Gast

P.S.: Der Museumsbesuch verlief ohne besondere Vorkommnisse.