"Wir waren zu dämlich"

■ FC St. Pauli: Nur ein glückliches 0:0 gegen den VfB Leipzig/20 000 Zuschauer feierten trotzdem am Millerntor

: Nur ein glückliches 0:0 gegen den VfB Leipzig / 20000 Zuschauern feierten trotzdem am Millerntor

Sind am Millerntor wieder die notorischen Schönfärber am Werk, jene Szeneasten des FC St. Pauli, die im Zweifelsfall Gott, den HSV und die Welt gegen ihren Verein im Bunde wissen? Ihnen aus dem Herzen jedenfalls sprach Trainer Michael Lorkowski nach dem Spiel gegen den VfB Leipzig: „Wir waren zu dämlich, Torchancen herauszuarbeiten.“ Das klang nach Selbstkritik, war jedoch gemeint als Hinweis auf die Unzulänglichkeit glücklicher Umstände, wie sie den Hamburgern noch beim Spiel gegen Darmstadt 98 gewogen waren: eine harmlose Mannschaft, die nur wieder aus Hamburg abreisen wollte.

Mit anderen Ambitionen waren die Sachsen, in der vergangenen Zweitligasaison noch knapp dem Abstieg ins Amateurlager entronnen, an die Elbe gefahren: „Wir mauern nicht“, sagte deren Coach, Westimport Jürgen Sundermann, „wir haben genauso 5:1 Punkte auf dem Konto wie St. Pauli“. Ein Satz, der keinen Zweifel an der Dreistigkeit aufkommen lassen sollte, womöglich die Paulianer auf eigenem Platz zu düpieren. Und in der Tat, sie stellten sich nicht nur vors eigene Tor, die Leipziger, stürmten munter drauflos, ganz so, als hätten sie es nicht mit Heroen und Lieblingen zu tun, von denen gut 20000 Zuschauer einen Sieg erwarteten. Allein: Es fehlte den Paulianern an Raum auf dem Platz, an Entfaltungsmöglichkeiten, an der nötigen Schüchternheit der Gegner. Andreas Jeschke, Martin Driller, Martino Gatti, auch der später für Driller eingewechselte Leonardo Manzi, sie alle stolperten über den Acker, als seien sie überrascht ob eigener Unfähigkeit, so etwas wie einen sinnvollen Spielzug aufzubauen. Torchancen hatten die Hamburger, zählt man die Ballberührungen von Leipzigs Tormann Kischko, etwa fünf an der Zahl.

Kaum besser erging es den Sachsen. Auch ihnen gebrach es am Ende an Mut und an Kondition — es war so schwül, so dampfend, daß selbst den Bierholern auf den Rängen gelegentlich die Puste ausging —, um den Hamburgern ein Tor zu verpassen. Resümee der Hamburger in Person ihres Präsidenten Weisener: „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel.“

Schön formuliert, aber anders gesagt: Dafür, daß der FC St. Pauli gegen eine gute Mannschaft einen Punkt erreichte, gebührt ihm Lob. Für den weiteren Verlauf der Saison — manche Fans sind inzwischen schon so dauerbesoffen, daß sie sich nicht entblöden, unumwunden das Wort „Aufstieg“ in den Mund zu nehmen —, läßt sich nur vermuten, daß die Bäume des Michael Lorkowski gelegentlich beschnitten werden müssen. Womöglich mit einer — meinetwegen sensibel inspirierten — Standpauke? Oder wie sonst ist einem Stürmer wie Andreas Jeschke beizubringen, daß spielerisches Miteinander zu einer Mannschaftssportart wie Fußball irgendwie dazugehört? Oder einem Mann wie Leonardo Manzi nahezubringen, daß der fiese Gott, als er Talent verteilte, nicht ihn bedacht hat, er auf der Ersatzbank also am besten aufgehoben ist? Anders gefragt: Ist Lorkowski um seinen Job zu beneiden? Arne Fohlin