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Moderne Seefahrt: „Zustände wie im Mittelalter“

■ Gewerkschaftssekretär berichtet von Morddrohungen, schwarzen Listen und Ausbeutung

Bitte den traurigen Seemann

Arbeitssklaven aus aller Herren Länder arbeiten für den Profit der ReederFoto: Katja Heddinga

„Das einzige, was Seeleuten heute nicht mehr passiert, ist, daß sie shanghait werden und sich plötzlich mit alkoholisiertem Kopf ungewollt an Bord eines Schiffes wiederfinden — alles andere ist wie im Mittelalter.“

Ein vernichtendes Urteil über die moderne Seefahrt von einem, der es wissen muß: Hans Kreitlow, Koordinator des Bremer Büros der „Internationalen Transportarbeiter-Föderation“ (ITF), ist als Gewerkschaftsvertreter der Seeleute seit zehn Jahren Tag für Tag mit der Ausbeutung von Schiffsbesatzungen konfrontiert.

Da werden Matrosen mit lächerlichen Heuern abgespeist - vorausgesetzt, sie bekommen

überhaupt ihr Geld. Die Arbeitszeit beträgt im Extremfall mehr als 80 Stunden, die Arbeitsbedingungen sind miserabel, die Sicherheitsvorkehrungen ungenügend, die Crew muß ihre Kammern mit Ratten und Kakerlaken teilen — und während der Reise geht auch schon mal der Proviant aus. „Manchmal ist es wirklich erschütternd“, sagt Kreitlow, der bis 1965 selbst zur See gefahren ist.

Seit immer mehr Reeder ihre Schiffe unter sogenannten „Billigflaggen“ fahren lassen, die Schiffe also in Ländern wie Antigua, Liberia, Panama oder Vanuatu registriert sind und damit der strengeren Gesetzgebung anderer

Staaten aus dem Weg gegangen wird, werde es immer schlimmer, findet der Gewerkschafter. „Manche Reeder betrachten die See mittlerweile als rechtsfreien Raum.“ Setzen sich die Matrosen zur Wehr, werden sie schon mal kurzerhand im nächsten Hafen stehengelassen — ohne Heuer, ohne Rückflugticket in die Heimat. „Gestrandete Seeleute gibt es wohl zu Tausenden auf der Welt.“

Erklärtes Ziel der ITF, in der weltweit 447 Gewerkschaften mit 4 Millionen Mitgliedern zusammengeschlossen sind, ist es bereits seit 1948, die Billigflaggen zu „eliminieren“, wie Kreitlow sagt. Aber: „If you cant't beat

them, join them“, und deshalb spezialisiert sich die ITF heute darauf, für Seeleute auf Billigflaggen-Schiffen Arbeitsverträge mit annehmbaren Arbeits- und Heuerbedingungen zu erkämpfen. Drei ITF-Mitarbeiter mit Sitz in Bremen und einer Außenstelle in Hamburg sind für alle deutschen Häfen zuständig — von der polnischen Grenze bis nach Duisburg. Entweder entdecken die ITF-Inspektoren die Unregelmäßigkeiten bei einer ihrer Routinekontrollen, oder ein Seemann wendet sich direkt an die Gewerkschaft. „Es gibt aber auch Fälle, in denen die Crew auf See vor dem Einlaufen hier ausgewechselt und unter Bewachung in ihre Heimat geflogen wurde, damit niemand mit uns Kontakt aufnehmen konnte“, berichtet Kreitlow. „Viele haben einfach eine Schweineangst, weil sie an Bord unter Druck gesetzt werden.“ Zudem existierten 'schwarze Listen' von Matrosen, die mal aufgemuckt haben und dann erstmal keinen Job mehr bekommen.

Der 53jährige Gewerkschafter selbst wurde sogar einmal von einem norwegischen, besoffenen Kapitän bei einer Kontrolle mit der Pistole bedroht; der Präsident der schwedischen Seeleutegewerkschaft hat bereits offene Morddrohungen von den Philippinen bekommen.

Viele Seeleute haben eine Schweineangst, weil sie an Bord unter Druck gesetzt werden

Auch die in den Bremer Häfen einlaufenden Schiffe laufen zu 80 Prozent unter Billigflaggen. Der Erfolg der Bremer Kontrolleure: Im letzten Jahr setzten sie in Deutschland 1,36 Millionen Mark Heuernachforderungen durch — „weltweit erstreitet die ITF etwa 10 Millionen US-Dollar, um die die Seeleute regelrecht betuppt werden“, sagt Kreitlow.

Immer wieder gibt es auch in Bremen und Bremerhaven spektakuläre Fälle. Ende Februar zum Beispiel setzte die Bremer ITF eine Heuernachzahlung von 100.000 US-Dollar für die aus Pakistan und Sri Lanka stammende Besatzung des unter Malta- Flagge fahrenden Motorschiffes „Trust“ durch. Der Lohn lag noch unter der internationalen Mindestheuer, die Zustände an Bord waren skandalös, und nach Aufmucken wurde ein Teil der Mannschaft auf eigene Kosten nach Hause geflogen. In Arbeitsverträgen entdeckten die Gewerkschafter den Zusatz, daß bei „erheblicher Mehrarbeit“ eine eventuelle Mehrbezahlung im Ermessen des Kapitäns liegt.

Erst im Januar setze die ITF eines der letzten Mittel ein, um ihre Forderungen durchzusetzen: Die „Peter“, das Schiff einer Bremerförder Reederei unter der Flagge Antiguas mit philippinischer Besatzung, wurde an die Kette gelegt und arrestiert. „Da kam ein Pfandsiegel auf die Brücke und die Schiffspapiere wurden eingezogen, bis die Forderungen beglichen waren.“ Dreimal in den zehn Jahren ITF-Arbeit hat Kreitlow eine Zwangsversteigerung von Schiffen durchsetzen können — das allerletzte Mittel.

„Ich bin hier Kriminalbeamter, Sozialarbeiter, Seelsorger und Behördenmensch in einem“, sagt Kreitlow. Manchmal ist seine Arbeitszeit genauso lang wie die der Matrosen, für die er sich einsetzt, „aber wer einmal an einem Schiff dran ist, muß auch dranbleiben.“ Obwohl in fast allen Charterverträgen eine ITF- Klausel vorhanden ist, die Crew also eigentlich ITF-Verträge bekommen müßte, wird diese Vereinbarung oft nicht eingehalten. „Viele Reeder betrachten das Ganze als eine Art Sport: Werde ich nicht erwischt, ist es gut — wenn doch, zahle ich eben“, erklärt Kreitlow. Das Spiel lohnt sich offensichtlich, auch wenn es vom Charterer vorerst kein Geld für den Reeder gibt, wenn dieser von der ITF erwischt wurde. Und obwohl die Kontrollen in Nordeuropa mit zu den schärfsten gehören, könnte es besser aussehen: „Wir könnten hier zehn Leute einstellen und immer noch nicht alles kontrollieren.“

„Christlich-romantische Seefahrt? Alles Quatsch!“ schnaubt der Gewerkschafter. Manchmal bittet ihn eine Mutter um Rat, weil ihr Sohn Seemann werden will. Kreitlows Reaktion: „Ich rate heute bestimmt niemandem mehr, zur See zu fahren!“ Susanne Kaiser

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