Irreal wie Carl

■ „Gesellschaft für Mrs. DiMarco“, eine makabre Komödie aus Australien

Mrs. DiMarco hatte eine ruhige Zeit. Eine sehr ruhige Zeit. Jahrelang hatte sie hier gelegen und auf die Ankunft ihres Gatten gewartet. Sie hatte sich ganz vorzüglich mit den Ratten verstanden, tatsächlich hatte sie sie kaum zur Kenntnis genommen. Und nun das. Das war dann doch entschieden zuviel. Gerade heute hatte man die Grube geöffnet, morgen wollte ihr kürzlich verschiedener Ehemann sich endgültig zu ihr gesellen. Da tapern diese beiden Penner in die Grube, brechen ihren Sarg auf und treten ihr Skelett platt, nur um Platz für einen erstochenen Türken zu schaffen. Nein, das hat sie nicht verdient. Und dann kotzen die noch alles voll. Wer den Gestank nicht verträgt, sollte die Finger von Grabschändung lassen.

Mrs. DiMarco bekommt ungewollte Gesellschaft, weil Carl Fitzgerald ein Pechvogel ist. Nicht nur irgendein Pechvogel, ein Prototyp, ein Urbild, ein Gustav Gans des Pechs mit einer negativ geladenen Hasenpfote. Carl ist von seiner Frau verlassen worden, er säuft, er wohnt in einem gepflegt verrotteten Häuschen, er schläft in Jeans seine Räusche aus, und als seine Mutter ihn für eine Woche besuchen und umsorgen kommt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Getrieben von der moralischen Verpflichtung in Gestalt von Mam und einer Mahnung seines Vermieters, wirft Carl den als Boiler getarnten Flammenwerfer an und sucht sich einen Job.

Er findet ihn in einer billigen Diskothek als Koch. Der Kühlraum ist ein Kakerlaken-Zwinger und der Türsteher Laurie ein ausgesucht brutaler Hirnloser. Als Gehilfe steht ihm ein Türke namens Mustafa zur Seite, der an der Hintertür einen florierenden Drogen-Take-Away betreibt. Doch gegen Liebe auf den ersten Blick ist kein Kraut gewachsen, und Carls Drang nach einem Drink und einen Blick auf die Barfrau Sophie Papafagos führt ihn des öfteren aus der Hölle seiner Kellerküche nach oben in den Diskothekenhimmel, was für das Personal aber streng verboten ist und ihm unliebsame Begegnungen mit Laurie nicht erspart.

Das wäre alles halb so schlimm, aber Carl ist ein Pechvogel, wir erwähnten es bereits. Sophie ist Griechin und längst Yanni, dem Besitzer der Disco, versprochen. Und als hätte Carl noch keine Probleme, verprügelt Laurie Mustafa wegen dessen Drogenhandels. Der wiederum glaubt, daß Carl ihn verraten hätte und geht auf ihn los. Unglücklicherweise hat Carl gerade eine ziemlich lange Gabel in der Hand. Doch Carls bester Freund Dave ist Totengräber, und so kam es, daß Mrs. DiMarco Gesellschaft bekam.

„Gesellschaft für Mrs. DiMarco“ entstand in Australien und wurde dort in fünf Kategorien für den landeseigenen Oscar nominiert. Es ist eine Komödie, aber keine laute. Die Komik speist sich hauptsächlich aus den absurden Situationen, in die Carl trudelt, weil er unfähig ist, sein Leben selbst zu leben. Und doch will keine Schadenfreude aufkommen, auch kein Mitleid. Die anderen leben eben für ihn und mit ihm, als würde es ihm Spaß machen, Opfer zu sein. Seine Mutter kann ihn weiter als ihr Baby betrachten, Laurie kann ihm eins auf die Nase geben, die 19jährige Sophie kann den 34jährigen auf die Couch zerren. Ihr erstes Rendezvous wird zur lächerlichsten Bettszene, die je eine Leinwand erleuchten ließ. Sie offenbart die ganze Peinlichkeit, die sich unweigerlich einstellt, wenn zwei Menschen, die sich kaum kennen, zusammen im Bett landen, und entlarvt die klinisch, erdbraun fotografierten, aneinanderreibenden Körper des Hollywood-Kinos als reine Fälschung.

Carl wehrt sich nie, er läßt mit sich geschehen. Er reagiert nur, und doch wendet sich alles zum Guten. So irreal wie die Figur Carl, dem das Pech an den Füßen klebt, muß auch das Ende sein. Denn nur wer hilflos wie Carl ist, kann einen Genickstützverband lächelnd zur Kenntnis nehmen.

Sam Neill, geborener Neuseeländer und zuletzt in Wim Wenders' „Bis ans Ende der Welt“ zu sehen, spielt diesen Carl so intensiv wie lakonisch, auch wenn Spielen schon fast zuviel gesagt ist. In den schönsten, den schwermütigsten Momenten hat Neill ganz einfach das gesamte Leid der Welt in seinem Gesicht versammelt. Sein Blick geht leer und doch wie festgenagelt ins Nichts, wenn andere auf ihn einreden, an ihm verzweifeln.

Nichts an diesem Film drängt sich auf, die Kamera nicht, nicht die Regie, nicht einmal der Witz. Die Diskrepanz zwischen der extremen Überspitzung der Charaktere und der Lakonie der Inszenierung macht erst den Zugang möglich. Sonst wäre „Gesellschaft für Mrs. DiMarco“ ein Projekt für die Zucker-Brothers und ganz sicher auch eine formidable Klamotte geworden. So ist es ein melancholischer, aber auch ein lustiger Film. Thomas Winkler

„Gesellschaft für Mrs. DiMarco“ (Death In Brunswick). Regie und Buch: John Ruane, Kamera: Ellery Ryan, mit Sam Neill, Zoe Carides, John Clarke, Yvonne Lawley. Australien 1992.