PRESS-SCHLAG
: Die Revolution im Himmel

■ Die Anarchistin Clara Thalmann und die verhinderte Arbeiterolympiade von Barcelona des Jahres 1936

In Barcelona werden am Samstag die XXV. Olympischen Sommerspiele eröffnet. Mit großem Pomp. Kaum anzunehmen, daß sich die feine Gesellschaft an ihre olympische Vergangenheit erinnert. Am 18.Juni 1936 versammelten sich in Barcelona Arbeitersportlerinnen und -sportler aus 20 Ländern, um bei einer Gegenveranstaltung zu den Hitler-Spielen in Berlin im republikanischen Spanien ihre Kräfte zu messen.

Unter den rund 2.000 Aktivisten in Turnhosen war der spätere jugoslawische Staatschef Tito, aber auch der spätere Mörder Trotzkis, Ramón Mercader. Am Tag der Eröffnung wollten sie mit ihren Körpern Picassos Friedenstaube auf dem Rasen des Mointjuic-Stadions zeichnen. Doch sie kamen nicht dazu. Denn am Vorabend der Spiele begann der Putsch der Generäle um Franco gegen die spanische Republik.

Eine der alternativen Olympionikinnen war Clara Thalmann, begeisterte Sportlerin und überzeugte Anarchistin. Zusammen mit zwei Freunden tippelte die gebürtige Baslerin zu diesem sportpolitischen Ereignis nach Spanien, ausgerüstet mit Zelt, Wanderschuhen und einem Schwimmanzug. Die 28jährige war Mitglied eines Schwimmclubs im Schweizer Arbeiter-Turn- und Sportverein (SATUS). Trainiert hat sie in den damals noch chemiefreien Fluten des Rhein bei Basel. „Da war dann noch ein Ruderboot dabei, falls mal einer schlappmachte“, erinnerte sie sich bei einem Gespräch Anfang 1986. Luft im Darm zur Verbesserung des Auftriebs oder glattrasierte Beine zur Verringerung des Wasserwiderstandes kannte sie noch nicht.

Denn mit der Leistung nahm es der Arbeitersport nicht so genau. Zwar habe es Ausscheidungswettkämpfe gegeben, erzählt Clara Thalmann. Aber hingefahren nach Barcelona sei letztendlich, wer Lust dazu hatte. „Ich bin immer gern und viel geschwommen“, schrieb sie in Briefen, „aber so richtig trainiert habe ich eigentlich nicht. Auf keinen Fall täglich.“ Die individuelle Leistung bedeutete den Arbeitersportlern wenig. „Ich war ganz gut im Brustschwimmen. Aber welche Zeit und welche Distanz, weiß ich nicht mehr“, gesteht sie. Was waren Sekunden oder gar Bruchteile davon gegen die Revolution?

Geboren wurde die Idee der Volksspiele bei einer Konferenz des „Internationalen Komitees zur Wahrung des Olympischen Gedankens“ in Paris, an der auch Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Ernst Toller teilnahmen. Dort warnte Mann die Olympia-Sportler von Berlin davor, „Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators zu werden, der sich bereits als Herr der Welt fühlt“. Die Idee von alternativen Spielen griff der spanische Arbeitersportverein auf. Sein Vorsitzender Andres Martin machte sich daran, internationale Spiele in Barcelona zu organisieren.

Doch nur Spanien und die Sowjetunion blieben Berlin 1936 fern. Die Volksfrontregierung in Frankreich stellte Mittel und Sportler für beide Sportveranstaltungen zusammen — doch bedeutend weniger für die Alternative in Barcelona.

Eine Woche vor den Berliner Schaukämpfen sollten die linken Sportler in die Startblöcke, das Stadion auf dem Montjuic, wo heute so eifrig gebaut wird, sollte ihre Bühne sein. Doch am 18.Juni gab der im spanischen Rundfunk durchgegebene Wetterbericht „über ganz Spanien wolkenloser Himmel“ das Signal für die Franco-Anhänger, gegen die spanische Republik loszuschlagen. Und schon am 19.Juni lagen in den Straßen von Barcelona die ersten Toten des Spanischen Bürgerkrieges.

Clara Thalmann erinnert sich an das Schiff der französischen Arbeitersportler, das alle Ausreisewilligen mit zurück nach Marseille nehmen sollte. Doch viele blieben. Unter ihnen auch Clara Thalmann. Sie schloß sich der Kolonne Durrutti an, des legendären Anarchisten, der Hans Magnus Enzensberger zu seinem Buch „Der kurze Sommer der Anarchie“ inspirierte. Das Ende der Arbeitersportspiele war gekommen, bevor sie angefangen hatten. In Spanien war Bürgerkrieg, und die sportlichen Wettkämpfe waren unwichtig geworden. Für viele der Arbeitersportler fanden die Gegenspiele, wie Clara Thalmann erzählt, „an der Front statt“.

Sie überlebte viele von ihnen und konnte ihre Biographie noch in dem Buch „Revolution für die Freiheit“ erzählen. 1987 starb sie 78jährig nach langem Krebsleiden in der Nähe von Nizza. „Ich werde“, so schrieb sie ihren Freunden, „die Revolution im Himmel machen.“ Susanne Stiefel