DEBATTE
: Was geht uns Jugoslawien an?

■ Soll doch die ganze Bundeswehr hin, dann sind wir sie für ein Jahrzehnt los

Was geht uns Jugoslawien an? Für die Westdeutschen war Jugoslawien jahrzehntelang beliebtes Urlaubsland, für Sozialisten galt es als Land der Hoffnung auf einen dritten Weg, für Kommunisten war es das Reich des Verräters Tito, für die Jugoslawen selbst war es nichts als ein Kompromiß. Hervorgegangen aus dem Zweiten Weltkrieg, unter Tito zu den Siegern zählend, nach der Befreiung vom Stalinismus das Führungsland der Dritten Welt, hoch angesehen, wichtig in seiner Rolle zwischen Ost und West.

Auch für mich war Jugoslawien der Hort eines neuen Sozialismus. Ich reiste oft dorthin, knüpfte Verbindungen und Freundschaften und kehrte Ende der sechziger Jahre von einer längeren Reportagereise furchtbar ernüchtert zurück. In diesem großen Land des Sozialismus gab es keine Sozialisten. Partisanengenerale lernte ich kennen, Titos engste Kampfgenossen, und wenn man an ihnen nur ein wenig kratzte, kamen alte Nationalisten hervor. Das waren keine Marxisten, Internationalisten, keine solidarischen Genossen, das waren engstirnige Serben, Kroaten, Slowenen, Mazedonier, Montenegriner, und ein jeder haßte den anderen wie seinen schlimmsten Feind. Allein Titos harte Diktatur fesselte diese alten Haudegen aneinander.

Und noch eines lernte ich in Jugoslawien — daß es keine sozialistische Ökonomie gab. Die Wirtschaft funktionierte nicht, ihr Schmiermittel war westliches Kapital, das dem Tito-Staat zufloß, um ihn als Alternative gegen die östlichen sozialistschen Staaten aufzubauen. Der Westen aber zahlte nicht mehr, als das Land seine Funktion verlor. Nach Titos Tod dauerte es nur wenige Jahre, und die alten nationalen Feindschaften traten mit erneuter Heftigkeit hervor, die zunehmende Wirtschaftskrise verstärkte die Unzufriedenheit. Soziale Not und nationaler Haß aber münden zwangsläufig in Kriegen. Insofern kann Jugoslawien uns vor Fehlern warnen, die wir in unserer eigenen Geschichte oft genug begingen.

Dazu kommt die Frage, ob — und wenn ja — wie weit wir uns dort einmischen sollen. Egal, ob die Krise sich verstärkt oder vorübergehend abschwächt, der Konflikt bleibt bestehen, und so wird die Frage nach der deutschen Beteiligung am Krisenmanagement auch bleiben. Da namhafte Politiker seit geraumer Zeit fordern, die Bundeswehr an „Kampfeinsätzen“ zu beteiligen — ob unter UNO- oder Nato-Flagge —, kann Jugoslawien zum ersten Probefall werden. Zwar machte Außenminister Kinkel noch geltend, deutsche Soldaten dürften in Jugoslawien nicht an den Kampfeinsätzen beteiligt werden, wegen der Vergangenheit, doch lassen sich durchaus Eskalationen vorstellen, wonach die Bundeswehr, ist sie vor Ort erst einmal präsent, in sich ausweitende Kampfhandlungen verwickelt wird. Was aber dann?

Niemand weiß, wie sich der Konflikt entwickelt. Wer ihn aber durch das Militär zu lösen beabsichtigt und mit Truppen nach Jugoslawien geht, kann nie wieder von dort weggehen. Der jahrhundertealte Konflikt ist ethnischer und religiöser Natur, und wenn selbst die harte Tito-Diktatur keine dauerhafte Lösung bot, wie sollte es dann heute eine internationale UNO-Truppe schaffen, die ja schließlich die verfeindeten Jugoslawen nicht in riesige Arbeits- und Todeslager stecken könnte, wie Tito es ungescheut tat.

Den Ausweg, wenn es denn noch einen gibt, deutet ausgerechnet Carl Gustav Ströhm an, ein in der Wolle gefärbter Kalter Krieger und Fossil vergangen geglaubter Zeiten, der sich im Leitartikel der Welt am 15. Juli in gewohnter Giftigkeit gegen die deutsche Friedensbewegung wandte. Ich zitiere: „Und wo bleiben alle die ,Friedenskämpfer‘, die sich einst noch so tapfer über westliche Raketen und die Niederwerfung Saddam Husseins ereiferten? Hat Bosnien ihnen die Sprache verschlagen? Ist ihnen Frieden nur eine Demonstration wert, wenn sie amerikanische Fahnen verbrennen können?“ Ich halte den Kern seiner Frage durchaus für berechtigt und einer Antwort wert. Lassen wir also das Gift beiseite. Selbstverständlich richten sich außerparlamentarische Bewegungen zuvörderst an die eigene Obrigkeit. In Deutschland für den Frieden in Jugoslawien zu demonstrieren, ist mindestens so lange sinnlos, wie Bonn sich nicht am Krieg beteiligt. Fragt sich nur, weshalb Leute wie Ströhm nicht endlich ihre eigene Friedensbewegung gründen und dafür auf die Straße gehen. Es verbietet ihnen ja niemand. Doch Scherz beiseite, auch wenn er als blutige Ironie passend genug wäre. Tatsächlich hat jeder Friedensfreund Anlaß genug, sich zu fragen, was denn getan werden könne. Dagegen steht natürlicherweise die Ratlosigkeit, wer will denn schon genau genug entscheiden, wer auf dem Balkan der Schuldige ist und wer nicht, die Parteinahme Bonns und danach des Westens gegen die Serben richtete bereits genug Unheil an. Fragt sich, weshalb der Westen die in Belgrad, aber nicht nur dort vorhandenen Friedenskräfte nicht unterstützt. Es gibt Gruppen der deutschen Friedensbewegung, die Geld spendeten und in Jugoslawien Friedensaktivitäten entwickelten. Allerdings wurden diese Aktionen von unseren Medien zumindest unterschlagen. Auch reichen die privaten Mittel nicht, und unser Staat und die Parteien haben ja kein Geld, Friedensaktivitäten zu unterstützen, da ist es leichter, Schiffe und Flugzeuge in Marsch zu setzen. Notfalls auch Truppen, dafür ist Geld immer vorhanden.

Der forsche Welt-Leitartikler kann sicher sein, wenn die Eskalation noch weitergetrieben worden ist, wenn auch Bundeswehrsoldaten in Jugoslawien stehen, wenn gar der erste tote Deutsche zu beklagen ist, dann wird die Empörung auch auf deutschen Straßen zu Demonstrationen gegen den Krieg führen. In Belgrad aber wird niemand mehr wagen können, gegen die eigene kriegführende Regierung und Armee zu protestieren. Denn dann wird man in Serbien nur noch einen Feind kennen, ganz wie im Zweiten Weltkrieg. Was aber Krieg in Jugoslawien bedeutet, das sollten unsere Kriegsfreunde einmal diejenigen fragen, die damals auf dem Balkan kämpften. Es leben ja noch einige davon.

Was also wäre zu tun? Die im Welt-Leitartikel wieder einmal billig verspotteten deutschen Friedensfreunde sollten mit ihren Aktivitäten in Jugoslawien unterstützt werden. Helfen können wir noch, indem wir die Kriegsflüchtlinge an der Grenze nicht abwehren, sondern aufnehmen. Notfalls müssen wir Lager errichten, um sie auf Zeit unterzubringen.

Wir brauchen also keine Kampfeinsätze, sondern Friedensaktivitäten. Weil wir aber wissen, daß Pazifisten hierzulande nur zum Belächeln und Beschimpfen da sind, und wenn denn schon Soldaten nach Jugoslawien geschickt werden müssen, so lasse man doch bitte gleich die ganze Bundeswehr abmarschieren. So wären wir unsere lieben Militärs wie anno 45 mindestens für ein Jahrzehnt los. Und wer kein Held sein, sondern daheim bleiben möchte, der kann ja verweigern. Die anderen folgen jenen 20 Wehrmachtsdivisionen nach, die schon im Zweiten Weltkrieg dahingegangen sind. Weil Deutschland eben eine große Weltmacht war und wieder ist. Gerhard Zwerenz