Der heiße Krieg ist schwer zu stoppen

Trotz des Friedensabkommens zwischen Rußland und Moldova gehen die Kämpfe in der „Dnjestr-Republik“ unvermindert weiter/ Wie in den meisten GUS-Staaten wird auch hier befürchtet, daß sich Rußland zur Schutzmacht aller Russen erklärt  ■ Von Erhard Stölting

Nach langem hin und her haben Rußland und Moldova sich zumindest formal geeinigt. Am Dienstag abend unterzeichneten die Präsidenten Jelzin und Snegur ein Abkommen zur friedlichen Beilegung des Konfliktes um die „Dnjestr-Republik“. Moskau erkennt darin die territoriale Integrität Moldovas an und erhebt keinerlei Ansprüche auf das Gebiet Transdnjestr (Dnjestr-Republik). Sollte Moldova Anschluß an Rumänien suchen, kann die Bevölkerung von Transdnjestr nach der Vereinbarung selbst entscheiden, ob sie sich Rußland anschließen will. Schon innerhalb der nächsten sieben Tage ist der Rückzug der gegnerischen Truppen aus dem Frontbereich geplant. Als Garant des Waffenstillstandes sollen Einheiten der 14.Russischen Armee, die am Dnjestr stationiert sind, dienen.

Doch trotz gegenseitiger Friedensversicherungen gehen die Feuergefechte im Dnjestr-Gebiet unvermindert weiter. Der heiße Krieg um die sogenonnnte Dnjestr-Republik ist offensichtlich schwer zu stoppen. Sein politischer Hintergrund ist selbst für GUS-Verhältnisse sehr komplex.

Da ist zunächst das moldavisch- rumänische Verhältnis. Die moldauische Nationalbewegung in Rumänien, eine Rückbesinnung auf die rumänische Identität, warf von Anfang an die Frage der Vereinigung auf. In Moldova ist allerdings Zurückhaltung spürbar: Denn 1918 hatte es sich schon einmal dem größeren Nachbarn angeschlossen. Was folgte war zentralistische Bevormundung, Einheimische wurden diskriminiert. Diese Demütigungen sind noch nicht vergessen. So verminderte sich die Unterstützung der anschlußwilligen Volksfront, die doch den nationalen Umschwung eingeleitet hatte. Die Regierung Mircea Snegur, die die Parole von einer Nation in zwei Staaten verkündete, fand mehr Anklang. Dahinter steckte allerdings auch das Bewußtsein, daß die Minderheiten den Anschluß — nicht zu Unrecht — fürchten. Immerhin stellen sie 35 Prozent der Bevölkerung.

In Rumänien hingegen gilt bei fast allen politischen Kräften die Unabhängigkeit Moldovas nur als Zwischenetappe auf dem Weg zur Vereinigung. Warum zögert die Regierung Iliescu? Vereinigungen sind kostspielig, und Rumänien ist arm. Der Krieg dagegen befördert nun die Vereinigung von selbst. Rumänien liefert Waffen und Berater an die unerfahrenen Moldovanen, die den — von der 14. GUS-Armee unterstützten — Freischärlern im Dnjestr-Gebiet sonst unterlegen wären. Moldova gerät so aber in politische und militärische Abhängigkeit zu Rumänien. Die wiederum ist die propagandistische Trumpfkarte der russischen Separatisten, die die Angst vor dem Anschluß schüren.

Einen zweiten Problemkomplex bildet das Verhältnis Moldovas und Rumäniens zur Ukraine. Offen hat das rumänische Parlament von der Ukraine die Herausgabe einst rumänischer Gebiete gefordert, vor allem der Nord-Bukowina um Czernowitz (Cernauti) und den südlichen Teil Bessarabiens zwischen Moldova und dem Schwarzen Meer. Natürlich will die Ukraine diese Gebiete nicht herausrücken. Auch wenn die rumänische Regierung mit ihren Forderungen pragmatisch umgeht, eine Bedrohung bleibt. Auch hier ist die moldavische Regierung zurückhaltender; sie ist auf ukrainische Kooperation besonders stark angewiesen.

Schließlich gibt es das Problem Rußland. Dessen Grenzen liegen zwar weitab von der Konfliktzone. Doch Rußland war ein Imperium. 1812 übernahm es Bessarabien (Moldova) als Kriegsbeute von den Osmanen — Russen und Ukrainer, Juden und Deutsche, Gagausen und Bulgaren zogen zu. Mit den Minderheiten vermehrte sich auch die kulturelle Dominanz Rußlands. Bessarabien wurde zugleich multikulturell und „Heimatstadt russischer Erinnerungen“.

Auch daraus ist zu erklären, daß die Sowjetunion den Anschluß nie anerkannte und 1924 auf dem Ostrand des Dnjestr als Teil der Ukraine eine kleine „Autonome Sozialistische Sowjetrepublik“ (ASSR) Moldawien errichtete. Die ASSR umfaßte just jenes Gebiet, das heute als Dnjestr-Republik von sich reden macht.

Mit und nach dem Zweiten Weltkrieg kam Bessarabien wieder zur Sowjetunion und wurde zur Sowjetrepublik Moldawien. Ihr wurde die kleine ASSR angeschlossen. Hier aber lagen und liegen die industriellen Zentren Moldovas, hier konzentrierte sich die russischsprachige Bevölkerung. Wie in den baltischen Republiken entstand hier auf Initiative des sowjetischen Führungspersonals eine „internationalistische“ Bewegung, die sich für den Erhalt des imperiums einsetzte. Der Rückhalt in der Bevölkerung war so hoch, daß die Dnjestr-Republik unmittelbar nach der Verkündung der moldauischen Souveränität im Juni 1990 ausgerufen werden konnte. Während des Putsches unterstützte die Führung dieser Republik offen die Putschisten.

Die hier herrschenden Kräfte gehören zu den sogenannten „Patrioten“, jener inzwischen bekannten russischen Koalition aus Imperialisten, Neo-Stalinisten, Monarchisten und orthodoxen Christen. Zu ihnen gehören auch die jungen russischen Kosaken, die eigens kamen, um „heilige russische Erde“ zu verteidigen. Die Unterstützung dieser Koalition reicht bis hinauf in die russische Regierung. Der Vizepräsident und ehemalige Afghanistan-Held Ruzkoj etwa hatte im April dieses Jahres demonstrativ Tiraspol besucht und sich mit den dortigen Machthabern solidarisiert. Die rechtsextremistischen Medien riefen offen zum russischen Eingreifen auf. Die kleine sowjetische Exklave sollte Ausgangspunkt einer Wiederherstellung des „Imperiums“ sein.

Alle GUS—Staaten müssen fürchten, daß sich Rußland zur Schutzmacht der zwanzig Millionen Russen außerhalb Rußlands erklärt und ein entsprechendes Interventionsrecht verkündet. Die daraus erwachsende Beunruhigung verstärkte sich, als der Chef der GUS-Truppen Schaposchnikow im April forderte, die im Dnjestr-Gebiet stationierte 14.Armee als internationale Friedenstruppe einzusetzen, obwohl sie bislang die russischen „patriotischen“ Kräfte unterstützt hatte. Die kleine sowjetische Insel zwischen der Ukraine und Moldova könnte Ausgangspunkt eines Flächenbrandes werden.