Großbaustelle Friedrichstraße

■ In der Friedrichstraße erwartet Nobelfirmen eine »lange Durststrecke«/ Schon heute müssen astronomische Mieten bezahlt werden/ Frühestens 1995 werden die Passagen wiedererstehen

Mitte. Die Nobelfirmen, die mit großen Hoffnungen an Ost-Berlins künftige erste Adresse zogen, »sind schlichtweg reingefallen«. Sie haben in erster Euphorie viel zu hohe Mieten akzeptiert, so die Wirtschaftsstadträtin von Berlin-Mitte, Jutta Bartel. Doch die Friedrichstraße im Herzen der Hauptstadt gleicht auch drei Jahre nach der Wende und Mauerfall immer noch einer Riesenbaustelle.

Statt Strömen von Touristen und kaufkräftiger Laufkundschaft dröhnt zwischen dem ehemaligen Ausländerübergang Checkpoint Charlie und dem Friedrichstadt-Palast der Lärm von Preßlufthämmern und Baumaschinen, herrschen Staub und Dreck. Nach einem Jahr wollen nun die ersten bereits aufgeben wie etwa das Münchner Modehaus Escada. Und auch anderswo herrscht statt der erwarteten Euphorie bisher nur gedrückte Stimmung. Erst 1985 entdeckte der SED-Staat die Straße als Prestige-Objekt und wollte sie zur »attraktivsten Geschäftstraße« machen. Aber von Erich Honeckers Träumen bleibt nichts mehr übrig: Seine geplanten Friedrichstadt-Passagen fallen im Akkord unter der Abrißbirne.

Bis die Amüsiermeile des Berlins der 20er Jahre ihren alten Glanz und ihre Anziehungskraft wiedergewinnt, werden noch, so schätzt Bezirksstadtrat Markus Zimmermann, »mindestens sechs, wenn nicht bis zu zehn Jahre« vergehen.

Bei Quadratmeterpreisen zu Westniveau von derzeit bis zu 120 Mark — gemunkelt wird sogar schon von bis zu 300 Mark — steht manchem »eine lange Durststrecke« bevor. Frühestens 1995, so hofft ein internationales Investorenkonsortium mit dem französischen Kaufhausunternehmen Galeries Lafayette, werden die Passagen neu erstehen und Geschäftsleute, Restaurants sowie endlich zahlungskräftiges Publikum anziehen.

»Was wir brauchen, ist langer Atem«, weiß man denn auch bei dem exklusiven Autobauer Mercedes- Benz, dessen Nobelfassade derzeit noch hinter Bauwagen verschwindet. Wer jetzt weggehe, habe später das Nachsehen. Auch der Juwelier Christ setzt auf die Zukunft. »Daß das dauert, wußte jeder von uns«, sagt die Geschäftsführerin. »Wir bleiben auf jeden Fall hier.« Mit dem Ostberliner Rainer Ebert gehört sie zur Interessengemeinschaft Friedrichstraße.

Ebert war Mitarbeiter der früheren DDR-Staatsgalerie und ist nun einer der Gesellschafter der 1990 privatisierten Galerie Berlin. Sein Umstieg ins Geschäftsleben trug ihm den Vorwurf »Stasi-Seilschaft« ein. Er träumt von einer »wirklichen Top- Adresse«, siedelt sich doch in der Nähe auch der Medienkonzern Bertelsmann an.

Im Augenblick allerdings bleibt auch ihm nur die Hoffnung: »Schon heute müssen wir Mieten zahlen, die erst in sechs bis zehn Jahren gerechtfertigt sind.« Durchhalteparolen gibt auch der Ostberliner Dietmar Schüler aus, der das Café Rose führt. »Wenn Sie von früh bis spät mit minimalem Gewinn arbeiten müssen, dann kann Ihnen schon die Lust vergehen. Das um so mehr, als ab 18 Uhr die ganze Ecke tot ist.«

Ob die zwei rucksackbepackten Touristinnen aus Kalifornien ein gutes Omen sind? Sie gewannen der Szenerie — umgeben vom Französischen und Deutschen Dom, Schauspielhaus und anderen historisch reizvollen Gebäuden — sogar »Faszination« ab. Es sei »total spannend, wie das hier wieder aufgebaut wird«, befanden sie. Karen Sabine Katzke (dpa)