AIDS-KONGRESS: HIV UND PROSTITUTION

„Wir sind die Sex-Experten“

Amsterdam (taz) — „Hier sind zu viele Wissenschaftler“, stöhnte ein Teilnehmer des Welt-Aids-Kongresses, der zur Zeit in Amsterdam stattfindet.

Er hat recht: die Wissenschaftler dominieren diese Veranstaltung, die Vorträge ebenso wie die Diskussionsrunden oder die Pressekonferenzen. Von den knapp 11.000 registrierten Teilnehmern sind über 9.000 Wissenschaftler.

Doch gelegentlich, in sogenannten „Minikursen“ melden sich auch die Betroffenen zu Wort. So zum Beispiel, als über das Thema „HIV und Prostitution“ diskutiert wurde.

Die Huren, egal ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, gehören zu der Gruppe, die durch die Aids-Problematik am stärksten diskriminiert wird. „Die Wissenschaftler sagen, wenn es keinen Sex mehr gibt, gibt es auch keine HIV-Infektion mehr“, brachte eine Prostituierte die Argumente von Politik und Wissenschaft auf den Punkt. Das sei nachgerade „lächerlich“, befand die Frau, die ihr Studium in den USA durch bezahlten Sex finanziert: „Wir sind doch die Sex-Experten und damit die wichtigsten Hilfsmittel für sichere Sex-Praktiken.“

Doch nach wie vor würden Wissenschaft und Politik dieses Potential viel zu wenig nutzen, die Sexualität, insbesondere die bezahlte, nach wie vor tabuisieren. „Wir wollen über unsere Sexualität reden, wir haben damit keine Probleme“, bekannte ein männlicher Prostituierter, der früher „für Geld und für Spaß“ auf die Straße ging.

„Ich bin stolz auf meine Arbeit, und mir ist es völlig egal, wie man mich nennt“, wehren sich die Betroffenen gegen die vorgeschlagene Umbenennung in „sex-worker“.

Sie wollen als das anerkannt und ernst genommen werden, was sie sind. Immer mehr Prostituierte schließen sich zusammen, um über ihre Probleme zu reden und für ihr „Recht auf sexuelle Identität“ zu kämpfen. Besonders schwierig ist die Situation in den USA, wo Prostitution noch immer illegal ist. Die Folge: der notwendige gesellschaftliche Dialog findet nicht statt und, so ein Kunde, „wir gehen mit Scham und Schuldgefühlen zu Prostituierten“.

Für ihn ist jedoch ganz offensichtlich, daß die Männer umso eher bereit sind, sich zu schützen, wenn sie diese Art von Sex als positiv empfinden. Es wird Zeit, so die Betroffenen einhellig, die Diskriminierung der Prostitution endlich abzubauen.

Ein Lapsus der besonderen Art ist unterdessen der Kongreßorganisation geglückt: Weil die zahlreich vertretenen Journalisten nicht nur einen Eindruck von der Veranstaltung, sondern auch von Amsterdam mit nach Hause nehmen sollten, wurden sie am Dienstag nachmittag per Boot durch die „roten Zonen“ von Amsterdam gefahren. Dagegen hagelte es Proteste der Betroffenen: „Wir sind doch kein Zoo“, protestierten sie ohnmächtig gegen die Ignoranz der vermeintlich Normalen. H.K.