Doppeltes Dilemma

■ Die US-amerikanische Nahostpolitik steht ganz im Zeichen des Wahlkampfes, in dem Bush alle Karten auf außenpolitische Erfolge setzt

Doppeltes Dilemma Die US-amerikanische Nahostpolitik steht ganz im Zeichen des Wahlkampfes, in dem Bush alle Karten auf außenpolitische Erfolge setzt

Niemand weiß genau, die wievielte Reise es eigentlich ist. Manche zählen ab dem Ende des zweiten Golfkrieges, andere setzen der Verwirrung ein Ende, indem sie wieder von vorne beginnen. Sie bezeichnen die gegenwärtige Nahostreise von US-Außenminister Baker als die „erste nach dem Regierungswechsel“. Einiges spricht in der Tat für diese Zählweise, denn Rabins Machtübernahme in Israel hat für Bakers Nahost-Pendeldiplomatie neue und bislang einmalig günstige Bedingungen geschaffen. In die Nahostgespräche, von Schamir mit System in die Sackgasse geführt, könnte neue Bewegung kommen.

Rabins Unterscheidung zwischen „strategischen“ und „politischen“ Siedlungen schafft neuen Verhandlungsspielraum — nicht nur im israelisch- palästinensischen Konflikt. Sie bietet Rabin auch Möglichkeiten zur Neutralisierung seiner innenpolitischen Gegner, vor allem der Siedlungsbewegung. Doch Rabins Konzept markiert zugleich den längst bekannten Unterschied in der Siedlungspolitik von Likud und Labour. Während Likud die grobe Form des Landraubs betrieb, nach dem Motto: je mehr desto besser, ist Labour auch früher schon für ein „strategisches“ Vorgehen bei der Landnahme in den besetzten Gebieten eingetreten. Wenn man das Land entlang der Waffenstillstands- und Annexionslinien in Besitz nimmt, entstehen im Innenbereich der besetzten Gebiete leicht kontrollierbare Enklaven, die politisch und ökonomisch nicht überlebensfähig sind. Für die Zukunft wird entscheidend sein, ob Rabin die Siedlungspolitik durch eine solche Abschnürung der (noch) palästinensisch bewohnten Gebiete schlicht fortsetzt oder die Landnahme tatsächlich allmählich beendet.

Baker hat Rabins Vorschlag als eine Form des Siedlungsstopps mit ersten partiellen Kreditgarantiezusagen honoriert, ohne auf einem Ende der Siedlungspolitik zu insistieren. Seine Kritik an Rabins Unterscheidung zwischen „strategischen“ und „politischen“ Siedlungen, die er während seiner Aufenthalte in den arabischen Hauptstädten formulierte, nehmen sich demgegenüber als bloße Rhetorik aus. Er hatte es offenbar sehr eilig, Erfolgsmeldungen nach Washington zu schicken. Bakers „letzte Nahostmission“ vor Übernahme der Leitung von Bushs Wahlkampfteam ist auch der erste großer Wahlkampfeinsatz für seinen Chef — auf dem Terrain der Außenpolitik.

Die arabischen Verhandlungspartner Israels, allen voran die Palästinenser, spielen fürs erste mit. Im Nahen Osten scheint niemand so recht zu wissen, wie die Demokraten im Falle eines Wahlsieges agieren werden. Palästinensische Politiker in den besetzten Gebieten erklärten wiederholt, daß sie auf einen Wahlsieg der Republikaner hoffen. Zwar fürchten sie, daß „Bush uns über den Tisch zieht“, doch wenn die Demokraten das Rennen machen, gehen sie davon aus, daß es das Ende des amerikanischen Drucks auf Israel und damit auch jeglicher Nahostverhandlungen wäre.

Die herannahenden Wahlen setzen Bushs Nahostemissär unter solchen Erfolgszwang, daß er die schmalen langfristigen Chancen für einen Friedensprozeß im Nahen Osten durch vorschnelles Nachgeben gegenüber der neuen israelischen Regierung womöglich weiter gefährdet hat.

Doch die Regierung Bush, im heimatlichen Wahlkampf in die Defensive geraten, braucht im Nahen Osten dringend Erfolge, die ihr massives militärisches und politisches Engagement wenigstens nachträglich rechtfertigen: Eine Wiederaufnahme der Nahostverhandlungen mit weniger verhärteten Fronten ließe sich als „Durchbruch im Friedensprozeß“ verkaufen.

Man fühlt sich in diesen Tagen an die Zeiten nach dem Golfkrieg erinnert. Erneut werden die diplomatischen Bemühungen im israelisch-arabischen Konflikt intensiviert, und zugleich sind es vor allen anderen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates die USA, die immer lautere Drohungen gegen den Irak ausstoßen. Auch letzteres paßt in die Wahlkampfstrategie von George Bush, insbesondere, da sich die Nachforschungen der UN-Inspektoren im Irak allmählich in ein Ermittlungsverfahren wegen amerikanischer Waffenlieferungen an Saddam Hussein zu verwandeln drohen.

Während Baker unter dem Druck des Wahlkampfes in den Nahostgesprächen voreilige Konzessionen macht, ist Bush im Falle des Irak in einem anderen Dilemma gefangen. Ein militärischer Schlag könnte ebensogut auch als Manöver zur Unterbindung weiterer UN-Enthüllungen verstanden werden. Es bei bloßen Drohungen zu belassen, könnte den US-Wählern erneut in Erinnerung rufen, wie fest Saddam Hussein nach wie vor im Sattel sitzt. Nina Corsten