„Auf See gibt es doch gar keine Serben!“

Gestern lief in Wilhelmshaven die Fregatte „Niedersachsen“ in Richtung Adria aus/ Das Schiff soll dort den Zerstörer „Bayern“ ablösen/ Bundeswehrgeneralinspekteur Naumann verabschiedete die Soldaten mit einer zackigen Rede  ■ Aus Wilhelmshaven CC Malzahn

Nur ein paar junge Frauen haben beim Abschied geweint, die Seeleute machten witzige Miene zum gefährlichen Spiel. Mit Militärmusik hat die Bundeswehr die 211 Besatzungsmitglieder der Fregatte „Niedersachsen“ gestern morgen zwischen neun und zehn Uhr am Wilhelmshavener Marinekai verabschiedet, und als die Leinen los waren, wehte das Dschingderassabumm des Radetzkymarsches noch einmal an Deck hinüber. Die Abfahrt des Schiffes in Richtung Adria — die „Niedersachsen“ soll dort den Zerstörer „Bayern“ ablösen — ist auf Wunsch des Generalinspekteurs der Bundeswehr um einen Tag verschoben worden. Klaus Naumann, so der Name des deutschen Militärs, wollte die 211 Besatzungsmitglieder der Fregatte höchstpersönlich verabschieden. Einen Tag nach der Debatte im Bundestag wünschte er den Matrosen in zackigem Ton einen „Guten Morgen, Soldaten!“ und erklärte: „Deutschland kann nicht nach backbord oder steuerbord abdrehen, wenn der Rest Europas weiter Kurs hält!“

Angst zeigten sie nicht. Die Soldaten, die an der Adriaküste zusammen mit sieben weiteren NATO-Schiffen die Einhaltung des UN-Embargos gegen Serbien und Montenegro überwachen sollen, geben sich alle Mühe, so zu tun, als ginge es um eine Butterfahrt nach Helgoland. „Ich freue mich immer, wenn ich in einem Auslandshafen auf Toilette gehen kann. Die an Bord sind immer kaputt!“ witzelt ein 25jähriger Marinesoldat. „Wir können da unten sowieso nicht viel machen!“ meint der 22jährige Zeitsoldat Matthias H., der als Motorentechniker an Bord der Niedersachsen ist. Schließlich dürfe man die zu überwachenden Frachter nicht aufhalten oder gar bedrohen: „Wir können die nur bitten, uns zu sagen, was die geladen haben! Wenn die wirklich illegale Sachen an Bord haben, werden die uns das wohl kaum erzählen.“ Für sinnlos hält er den Einsatz trotzdem nicht: „Es wurde höchste Zeit, daß die Deutschen Flagge zeigen.“

Die Scham ist vorbei

Flagge zeigen — dieses Stichwort verwenden viele Beatzungsmitglieder, wenn man sie nach dem Grund ihres viermonatigen Einsatzes fragt. Vor allem Berufssoldaten sehen jetzt die Zeit gekommen, die Ehre der deutschen Fahne wieder reinzuwaschen. Während des Golfkrieges schipperte die „Niedersachsen“ durch das südliche Mittelmeer bei Kreta. „Wenn da englische oder amerikanische Kriegsschiffe an uns vorbeigefahren sind, haben uns die Matrosen ausgepfiffen.“ berichtet Matthias H. und blickt, noch immer peinlich berührt, zu Boden. Auch der Kommandant der Niedersachsen, Jan Pieter Scharf, kann schmachvolle Erzählungen zum Besten geben. Im Frühjahr 1991 war der waschechte Ostfriese als Militärattaché in Washington tätig. „Weil wir uns damals rausgehalten haben, sind wir auf der Straße von einigen verbündeten Offizieren nicht mehr gegrüßt worden.“ Doch diese Scham ist jetzt vorbei: „Diesmal pfeifen die Briten bestimmt nicht!“, glaubt Matthias.

Daß die „Niedersachsen“ angegriffen werden könnte, kann Fregattenkapitän Dam, der ebenfalls an die bosnische Küste fährt, „natürlich nicht ausschließen.“ Gesetzt den Fall, daß — wäre das seiner Ansicht nach auch nicht gefährlich. „Über uns fliegen laufend Aufklärungsflugzeuge, wir haben außerdem ein Frühwarnsystem an Bord!“ Falls tatsächlich „irgendein Idiot“ auf die Idee käme, das Schiff anzugreifen, „werden wir uns natürlich wehren!“ Das Schiff ist mit zwei Hubschraubern bestückt, verfügt über Flugabwehrraketen und eine Bordkanone — letztere ist mit der Comic-Figur Werner verziert.

Die niedersächsischen Grünen haben die Besatzungsmitglieder aufgerufen, den Kriegsdienst in letzter Minute zu verweigern. Gefolgt ist diesem Aufruf niemand. Weder vor noch auf dem Marinegelände hat irgendjemand gegen das Auslaufen der Fregatte protestiert. Die 211 Männer ziehen dem Anschein nach grinsend in den Krieg, ob ihnen wirklich komisch zumute ist, kann kein Außenstehender sagen. Ein Matrose meint: „Ein richtiges Krisengebiet ist das doch gar nicht auf See. Gekämpft wird doch an Land.“ Nur einer der 41 Wehrdienstleistenden fehlt an Bord: Ein junger Mann aus dem Ruhrgebiet fährt nicht mit, weil seine Mutter beim Wehrbeauftragten der Bundesregierung darum gebeten hat. „Da gab es familiäre Probleme“, erklärt ein Presseoffizier, „welche, darf ich Ihnen nicht sagen.“ Außerdem durften die werdenden Väter an Land bleiben.

Langsam verschwindet der Dunst über der Nordsee, der Himmel ist postkartenblau. „Hoffentlich haben wir da unten auch so ein Wetter!“ meint ein Matrose. Angst, so beteuert er, habe auch er nicht. Der Medienrummel geht ihm auf die Nerven: „Das wird doch alles total hochgespielt.“ Irgendwelche verfassungsrechtlichen Bedenken? „Blödsinn. Die Sozis haben doch 'n Kopfschuß!“ Ein bißchen dumm sei nur die Route: Viel Landgang sei da nicht drin. Bei Gibraltar wird die „Niedersachsen“ tanken, bevor sie am 31.Juli auf die „Bayern“ trifft. Gäbe es keinen Krieg, „dann hätten wir 'ne tolle Fahrt durchs Mittelmeer gemacht: Spanien, Italien, dann hoch zum Schwarzen Meer nach Bulgarien.“ Die Fahrt an die Adria sei immerhin „besser als nichts“.

Sorgen machen sich nur ein paar Frauen. „Richtig Angst hab' ich zwar nicht“, erklärt die 20jährige Sabine, deren Freund als Schlosser an Bord ist, „aber ich werde jetzt wahrscheinlich jeden Tag stundenlang Fernsehen gucken!“ Eine andere erzählt von ihrem „mulmigen Gefühl in der Magengrube“, einer Dritten laufen die Tränen über die Wangen. „Die Serben sind doch so brutal!“ schluchzt sie, „und außerdem haben wir uns gerade erst kennengelernt.“ Ihr Freund schaut verlegen aus der Wäsche, nimmt sie in den Arm und meint: „Auf See, da gibt es doch gar keine Serben.“ Eine Mutter, der beim Abschied die Worte schwer fallen, sorgt sich um das leibliche Wohl ihres Sohnes: „Hoffentlich gibt's was Anständiges zu essen.“

Als die „Niedersachsen“ ablegt, stehen die Matrosen in Reih und Glied steuerbords an Deck und winken den am Kai wartenden Freunden und Verwandten zu. Auch die Presse muß jetzt von Bord. Ein Kameramann wünscht einem Soldaten beim Betreten des Steges, „daß ihr alle gesund wiederkommt!“ Der Matrose, der gerade noch gelächelt hat, sagt artig „Danke“. Dann wird er plötzlich ein kleines bißchen bleich.