GASTKOMMENTAR
: Zwei Übel, gleich gefährlich

■ Der Griff der politischen Klasse Italiens nach Anti-Mafia-Notstandsgesetzen

Ich weiß nicht, wie lange die öffentliche Gemütsbewegung wegen des Todes von Staatsanwalt Borsellino und seiner armen Leibwächter anhalten wird. Es war ein grauenhaftes Blutbad, die Fernsehbilder scheinen unauslöschlich, und vielleicht sind die Erregung und der Schrecken diesmal um so stärker, als sie sich mit der noch immer frischen Erinnerung an den Tod seines Kollegen Falcone überlagern. Hautnahe Blutbäder.

Und dennoch: Wie viele Tote durch die Mafia hat es schon gegeben, Tote mit berühmten und solche mit gewöhnlichen, unbekannten Namen? Die Erinnerung an sie alle fällt schwer, weil sich nach den Morden nichts verändert hat, es sei denn in negativer Hinsicht. Der Kommunist La Torre entwarf ein gutes Gesetz gegen die organisierte Kriminalität und wurde darob ermordet. Das Gesetz wurde verabschiedet, aber es wurde und wird nicht angewendet, weil alle damit angreifbaren Finanzheiligtümer Eckpfeiler des politischen Systems sind. Der General dalla Chiesa war ein erfahrener Soldat, doch man hat ihn alleine gelassen, zum Beweis, daß man die Mauschelei zwischen Geschäft und Politik nicht mit Hilfe der Carabinieri zerhauen darf.

Das gesamte Umfeld, die nationale und multinationale territoriale Struktur der Mafia-Gruppen, ihre Geschäfte und ihre Einnahmen aus dem Rauschgiftsektor, aus staatlichen Bauaufträgen, Staatsschuldscheinen und Geldwäsche, all das hat sich ins Unermeßliche vergrößert, ist ins ökonomische und soziale Gewebe des gesamten Landes eingedrungen. Doch die Politik unserer Regierung bleibt sich stets gleich: immer derselbe Filz, dieselbe Unfähigkeit, die Rhetorik des Notstandsdenkens, wie dies eben zu einer der korruptesten Führungsschichten in der entwickelten Welt gehört.

Kann man da noch hoffen, daß etwas Neues, Positives geschieht? Es gibt ja genug Gesetze und nun auch die neuen Super-Anti-Mafia-Gesetze, mutige Staatsanwälte und Super-Staatsanwälte, Maxi- Prozesse und Massen-Deportationen, eine faktische Einschränkung von Grundrechten, Tausende personenbezogener Akten. Reicht diese Aufrüstung noch immer nicht?

Wir glauben nicht an die Logik des Notstandes und werden niemals daran glauben. Nicht nur aus prinzipiellen Gründen, sondern weil Notstandsgesetze stets mehr Übel anrichten, als sie abstellen, und weil sie nicht auf eine derart umfangreiche und komplexe Erscheinung anwendbar sind. Und wir glauben noch weniger an ihren Sinn, wo wir es mit einer Politwelt zu tun haben, die den Notstand zuallererst auf sich selbst anwenden müßte. Bei alledem laufen wir eine doppelte Gefahr. Die eine besteht darin, daß nach der Beruhigung der öffentlichen Erregung absolut nichts passiert, oder allenfalls irgendwelche theatralischen Gesten. Die andere Gefahr besteht darin, daß der x-te Rückgriff auf Notstandsmaßnahmen zu einem Ablenkungsmanöver wird, das zum Aufbau einer scheinbaren Glaubwürdigkeit für in Wirklichkeit völlig diskreditierte politische Gruppen und Personen dient. Zwei Gefahren, eine schlimmer als die andere. Beide müssen wir verhindern, beide bekämpfen. Luigi Pintor

Pintor ist Mitgründer von il manifesto — für das er diesen Leitartikel auch verfaßte — und war in der vergangenen Legislaturperiode linksunabhängiger Parlamentsabgeordneter.